Geschrieben am 11. Januar 2014 von für Bücher, Crimemag

Helene Henke: Totenmaske

helene_henke_totenmaskeThanatologie

– Nach den Tatortreinigern kommen jetzt die Bestatter und -innen, Kriminalliteratur als Rundumservice für Leichen – wir sind mäßig beeindruckt. Helene Henkes „Totenmaske“ hat zudem noch eine Menge ästhetischer Defizite – Ilaria Urbano ist schon allein deswegen nur sehr, sehr mäßig beeindruckt.

Zoe Lenz, eine 21-jährige Bestatterin, die das Unternehmen ihres Großvaters geerbt hat, ist schön und doch sehr verschlossen. Sie wohnt in einem kleinen Dorf im Hunsrück, in der Nähe eines Steinbruchs und der ehemaligen Raketenstation in Kastellaun. Ihr einziger Freund ist Josh, der sogar noch zwei Jahre jünger ist als sie, das Gymnasium besucht und natürlich offensichtlich unglücklich in die junge Bestatterin verliebt ist. Zoe liebt ihren Beruf, ist ausgebildete Thanatologin und stellt mit besonderer Vorliebe Totenmasken her, eine Art Hobby, das sie betreibt und welches sie sehr auf künstlerischer Ebene erfüllt. Auch wenn die Angehörigen keine Masken von ihren Verstorbenen bestellen, stellt sie sie heimlich her. Sie verkriecht sich gerne in ihrem Labor im Keller und überlässt ihrer Mutter Isobel, einer fanatischen neuapostolischen Predigerin, zu der sie keine besonders emotionale Verbindung hat, die Arbeit mit den Angehörigen und im Verkaufsraum. Die sehr junge Bestatterin ist nicht in der Lage, mit Menschen umzugehen, nur mit toten Menschen. Sie selbst gilt als Außenseiterin in ihrer Gemeinde und ist nicht besonders beliebt auf dem konservativen Land.

Gogo, Boris und Leon

Zoe verlässt jedoch so manches Mal nachts das Haus, um das Pydna, eine Großraumdiskothek im nahegelegenen Kastellaun, zu besuchen. Sie geht jedoch nicht als Zoe aus, sondern als Loretta, ihrem frechen, lauten, lasziven extrem überzeichneten Alter Ego, das sie in manchen Situationen auch im Alltag zu überkommen droht, sobald sie emotionale Regungen in sich vernimmt. Loretta ist eine Kunstfigur mit Perücke und modelliertem Gesicht, sie kann im Grunde nicht als Zoe erkannt werden. Das will Zoe auch nicht, denn so kann sie, die als Loretta den VIP-Ausweis besitzt und manchmal auch einspringt, wenn ein Gogo ausfällt, so richtig aus sich herausgehen. In dieser Aufmachung begegnet sie eines Nachts Boris Nauen, der sie vor einiger Zeit fast in Anwesenheit seiner beiden Kumpels vergewaltigt hat und gerät in einen Konflikt mit ihm. Wenige Tage später liegen die drei Jungs bei ihr auf dem Behandlungstisch im Beerdigungsinstitut, nachdem ihre Leichen im nahegelegenen Steinbruch im Auto gefunden wurden.

Die Jungs scheinen ermordet worden zu sein und Kriminalkommissar Leon Strater taucht im beschaulichen Hunsrück auf, um zu ermitteln. Zoe unterstützt den Kommissar in seinen Ermittlungen, und zwischen den beiden entwickelt sich im Verlauf des Romans eine äußerst schnulzige Liebesgeschichte.

Leon ist ein (natürlich) junger, dynamisch sportlicher Mann, der nur wegen seines Silberblicks nicht eine noch höhere Laufbahn eingeschlagen hat. An sich ein ziemlich aalglatter Typ, dessen Schwester sich jedoch in einer Episode des Buches, die mit dem Rest eigentlich nichts zu tun hat, als drogensüchtige Prostituierte herausstellt.

Autorin Helene Henke (© Jörg Adler Fotografie/Droemer/Knaur)

Autorin Helene Henke (© Jörg Adler Fotografie/Droemer/Knaur)

Ziegelsteine

Zoe selbst gerät unter Mordverdacht und wird sogar in ihrem Labor von zwei durch die Scheiben fliegenden Ziegelsteinen attackiert. In diesem Moment rettet Leon sie aber vor dem fliegenden Ziegeln. Der Verdacht beruht auf der Vorgeschichte mit der versuchten Vergewaltigung. Zoe ist es auch, die die Todesursache herausfindet. Ihr Labor ist dadurch, dass ihr Vater ein Gerichtsmediziner war, perfekt ausgestattet.
Nachdem viele erschreckende Details ans Licht kommen, wird Zoe entführt und schwebt in Lebensgefahr …

Nasse Paare, küssend

Helene Henkes Buch ist von der Grundidee her interessant, nur leider nicht allzu gut umgesetzt. So ist das Buch mit Wikipedia-ähnlichen Erklärungen, die doch sehr trocken wirken, ausgestattet. Dabei sind jedoch viele technische Details falsch recherchiert: So hat man zum Beispiel im Hunsrück keinen Empfang mit einem Satellitenhandy – in der Arktis hätte man diesen. „Immerhin war sein Laptop mit speziellen Softwaremodulen ausgestattet, die recht zuverlässig funktionierten, wenn es darum ging, extreme Vergrößerungen lesbar zu machen“, somit ist nicht die Pixelzahl verantwortlich für gute Vergrößerungen. Und dann hatte der Mensch doch eigentlich einen Film in der Kamera … Das Buch erscheint fast wie der Versuch, eine amerikanische Crime-Serie nachzuahmen („CSI“ zum Beispiel), mit den übertriebenen, im Detail beschriebenen, nicht-existenten Technologien.

Das Vorhandensein einer Liebesgeschichte ist an sich ja grundsätzlich nicht störend, nur die äußerst kitschige Umsetzung ist es: Natürlich küsst sich das Paar das erste Mal in einer einsamen Hütte, nach einem Regenschauer. Beide sind durchnässt und wunderschön.

Eine große Schwäche des Buches sind die immer wieder auftauchenden Versuche, eine betont jugendliche Sprache zu evozieren, was allerdings gerade einem jüngeren Leser sofort ins Auge springt, so fallen vor allem Sätze wie „… wie die Duck-Faces der Girlies auf den Internet-Communities …“ doch sehr negativ auf. Auch die im unnatürlichen Präteritum geschriebenen Dialoge wirken so manches Mal sehr gekünstelt.

Äußerlich ist das Buch an sich sehr schön gestaltet, so ist es mit ungewöhnlichen „runden Ecken“ ausgestattet. Nur hat sich nach dem dritten Öffnen der Leim komplett vom Umschlag gelöst und ich hatte ein nacktes Buch in der Hand.

Summa summarum ist das Buch wohl eher für ein älteres Publikum gedacht ‒ und funktioniert für jüngere Leute gar nicht.

Ilaria Urbano

Helene Henke: Totenmaske. Roman. München: Droemer Verlag 2013. 432 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Helene Henke.

Tags :