Geschrieben am 12. Januar 2009 von für Bücher, Litmag

Heinz Strunk: Die Zunge Europas

„Und und und, oder oder oder“

– Mit Verve werden hier Selbsthass, Verbitterung, Trostlosigkeit und kaum von Nostalgie abgeschwächte Melancholie zutage gehoben. Von Tina Manske

Nach seinem Bestseller Fleisch ist mein Gemüse (mittlerweile verfilmt) ist Die Zunge Europas bereits Strunks zweiter lesenswerter Streich. Zu erzählen gibt es eigentlich nichts (und so ist auch die Gattungsbezeichnung „Roman“ auf dem Umschlag nur Irreführung), denn die sieben Tage aus dem Leben des Markus Erdmann, seines Zeichens ziemlich erfolgloser Texter und Gagschreiber, verlaufen relativ ereignislos.

Die Zunge Europas ist vor allen Dingen eine Folie, auf die der Erzähler (und man kann ihn gern als seelenverwandt mit dem Autor ansehen) in äußerst unterhaltsamer Weise all seine Ressentiments, seine Wut und Enttäuschung und seine Illusionslosigkeit projizieren kann. Er kotzt sich einfach über alles aus, was ihm gegen den Strich geht, der Aufzählungen des Schreckens sind nie genug, „und und und, oder oder oder“. Als Leser nimmt man fasziniert zur Kenntnis, mit welcher Verve hier Selbsthass, Verbitterung, Trostlosigkeit und kaum von Nostalgie abgeschwächte Melancholie zutage gehoben werden. Und dass man darüber auch noch lachen kann.

Allen voran in der „Beziehung“ von Markus und Sonja: Dass die Hölle ja immer die anderen seien, hat man bereits gehört, dass es aber so höllisch langweilig und selbstzerstörerisch werden kann wie in dieser sex- und berührungslosen Kiste, das erschreckt einen doch immer wieder. Da hilft auch nicht das Auftauchen einer schon fast vergessenen Frau, Janna, die sich plötzlich tatsächlich für den Protagonisten zu interessieren scheint. Das Licht, das durch ihre Aufmerksamkeit auf Markus scheint, bringt seine schwachen Stellen nur noch mehr zur Geltung.

Der Buchtitel hat im Übrigen keine sexuelle Konnotation, sondern bezieht sich auf Markus‘ Onkel, der sich als Kaffeespezialist diesen Beinamen erarbeitete. Das erinnert an „Debilenmilch“ der befreundeten Komiker Stermann und Grissemann, mit denen zusammen Strunk ja auch den nicht hoch genug zu lobenden Film „Immer nie am Meer“ drehte.

Besonders lohnend ist es natürlich mal wieder, ‚Heinzer‘ selbst bei der Lektüre seines Buches zuzuhören. Allein seine hanseatische Schnoddrigkeit sorgt für so manchen gelungenen Lacher. Wer allerdings der Furchtbarkeit des gemeinen Alltags- und Leibeslebens (ja, Leibeslebens, aber auch Liebeslebens) nicht wenigstens für die Dauer der Lektüre ins Auge blicken kann, der sollte die Finger von diesem Buch lassen. Denn wie immer bei guter Komik ist es doch so: Wir lachen da, wo wir die Fratze des Alltags zu guten Teilen wiedererkennen. Lachen ist da auch das Luftrauslassen, damit man daraufhin überhaupt wieder welche holen kann. Und das – wie auch Die Zunge Europas – ist nichts für Schwächlinge. Das Heino-Jaeger-Lob in der Mitte des Buches kommt nicht von ungefähr – Strunk ist einer seiner Erben.

Tina Manske

Heinz Strunk: Die Zunge Europas. Roman. Rowohlt, 2008. Hardcover, 320 S. ISBN: 978-3-498-06398-6. 19,90 Euro.
Heinz Strunk: Die Zunge Europas. Ungekürzte Autorenlesung, 6 CD, 6 Std. 52 Minuten. tacheles!/Roof Music. ISBN: 978-3-938781-78-4. 24,95 Euro / 44,90 sFr.
Teaser anschauen. Zur Lesung von Heinz Strunk in Hamburg.

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