Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Heinz Peter Schwerfel: Kino und Kunst

Hochenergetische Schnittstellen

Für François Truffaut ist das Kino ein „Ort der Magie, an dem Realität grundsätzlich überhöht, verwandelt, geschönt wird“. Als ein solcher Ort ist das Kino auch seit über hundert Jahren eng mit der Kunst verbunden – eine Beziehung mit vielen Höhepunkten, aber auch Verwerfungen, Trennungen und Wiederannäherungen. In einem großformatigen und reichlich mit Bildmaterial angefüllten DuMont-Band beleuchtet Heinz Peter Schwerfel nun die jüngsten Kapitel dieser ebenso spannenden wie haarigen Liebesgeschichte.

Während Alfred Hitchcock die moderne Malerei und Erzählstrukturen von Symbolismus und Surrealismus schon frühzeitig für seine Filme ausbeutete, so ist das Erzählkino erst in den 90ern flächendeckend in die heiligen Tempel der Kunst, in die Museen und Galerien eingezogen. Cineastische Schlüsselwerke wie „Taxi Driver“, „Blade Runner“ oder „Matrix“ werden von gegenwärtigen Künstlern wie Douglas Gordon, Matthew Barns oder Annette Messager explizit zitiert, montiert und fortgeführt. Durch ihre Installationen und Projektionen erweitert sich die Kino-Blackbox um die zusätzliche Dimension des Raumes, durch die der Besucher ungebunden flanieren kann.

Für den Film konstatiert Schwerfel andererseits eine „Fortführung des Erzählkinos mit den Instrumenten der Bildenden Kunst“. Auf diese Weise erobere sich das Erzählkino, wie zuvor schon in langer Tradition der avantgardistische und experimentelle Film, nun auch das Reich des Non-Linearen, Multi-Dimensionalen und Simultanen. So hat Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ den für das Erzählkino bis dato scheinbar unabdingbaren linearen Handlungsablauf radikal aufgebrochen, und Mike Figgis vervielfachte durch den Splitscreen in „Time Code“ das filmische Auge. Die Illusion des Kinos wird, wie bei David Lynch, der zuerst malte und dann filmte, nur noch durch ihr konsequentes Unterlaufen aufrechterhalten – in seinen filmischen Bildern wird das Reich des Wirklichen zu einem unendlichen Reich des Möglichen.

Für den Videokünstler Bill Viola ist die heutige Welt in diesem Sinne „eine Art Matrix“, eine Welt von „Verbindungen, parallelen Wirklichkeiten, vielfältigen Möglichkeiten“, die nicht mehr linear zu erfassen ist. Er prognostiziert, dass Film, Video, Kino, Elektronik und High Definition in zehn bis zwanzig Jahren zu einem einzigen Medium verschmelzen werden: „Eine tiefgreifende Revolution ist im Gange; die visuelle Sprache der Bilder kann jeden Augenblick explodieren.“

Heinz Peter Schwerfel hat mit Kino und Kunst eine spannende, fundierte und äußerst inspirierende Liebesgeschichte der besonderen Art vorgelegt. Seine Streifzüge zeigen facettenreich die hochenergetischen Schnittstellen zwischen Film, Malerei, Installationen und Medienkunst auf, an denen das Wirkliche zum simultanen Möglichkeitsfeld wird – frei nach W. S. Burroughs Wahlspruch „nothing is true – everything is permitted“.

Von Karsten Herrmann

Heinz Peter Schwerfel: Kino und Kunst. Eine Liebesgeschichte. DuMont 2003. Kartoniert. 285 Seiten. 29,90 Euro. ISBN 3-8321-7214-9