Geschrieben am 8. Dezember 2012 von für Bücher, Crimemag

Heinrich Steinfest: Das himmlische Kind

Zeit der krimifreien Themen

– „Das himmlische Kind“ heißt der neue Roman von Heinrich Steinfest, aber noch mehr als seine anderen Bücher verweigert sich das Buch jeder Rubrik. Frank Rumpel hat sich für seine Besprechung mit Heinrich Steinfest unterhalten.

Verwundert die Augen reiben werden sich nach der Lektüre des neuen Romans von Heinrich Steinfest wohl manche, die da beherzt ins Regal griffen und sich auch vom etwas lieblichen Titel „Das himmlische Kind“ nicht abschrecken ließen. Der Mann ist schließlich in der Lage, aus nahezu beliebigen Ingredienzien fantastische Geschichten zu Papier zu bringen, auf seine Art versteht sich, ausufernd, abschweifend, sprachlich elegant, philosophisch, irrwitzig, Geschichten also, die häufig nicht weniger sind, als eine so verschrobene, wie hellsichtige Beschreibung der Welt. Na ja, zumindest des einen oder anderen Teiles der Welt. Und seine Romane ließen sich bisher allesamt unter dem dehnbaren Begriff Kriminalliteratur sammeln.

In seinem neuen Roman aber ist einiges anders. Ein neuer Ton findet sich da, ein neuer Blick, nur wenige Figuren, eine einfache, stringent erzählte Geschichte, kein Kriminalroman. Doch mit dem Label hatte der 1960 in Australien geborene, in Wien aufgewachsene und mittlerweile zum Stuttgarter gewordene Heinrich Steinfest schon lange seine Probleme, wie er im Interview sagte.

Der tote Punkt

„Das war für mich immer ambivalent. Weil auf der einen Seite habe ich mich ja nie als reiner Krimiautor empfunden und ich glaube, ich wurde auch von der Kritik nicht so wahrgenommen. Zudem habe ich mir in allen meinen Krimis all das erlaubt, was sich auch Hochliteraten erlauben und habe in dem Sinn also keine Einschränkung empfunden. Und die Zeiten sind vorbei, in denen Krimiautoren sagen, jetzt muss ich endlich mal ein richtiges Buch schreiben. Es war eher eine sehr persönliche Frage, dass ich das Gefühl hatte, da an einen toten Punkt gekommen zu sein und eine Art Neuorientierung zu benötigen.“

In einer Art modernem Märchen schildert er den Überlebenskampf zweier Kinder mit biblischen Namen, die sich da allein im Wald durchschlagen müssen. Die zwölfjährige Miriam und ihr fünfjähriger Bruder Elias entgehen nur knapp dem Tod, als ihre Mutter das Auto, in dem sie alle drei sitzen, absichtlich in einen See lenkt, damit sie dort gemeinsam ertrinken. Doch Miriam ahnt, was ihre schwer depressive Mutter vorhat und kann sich mitsamt ihrem Bruder aus dem sinkenden Auto retten. Sie schleppen sich in den nahen Wald. Es ist Winter. Der erste Schnee fällt. In einer kleinen Holzhütte finden sie Unterschlupf, und dort wächst das zwölfjährige Mädchen über sich hinaus, um sich und ihrem Bruder das Überleben zu sichern. Sie bringt ein Feuer in Gang, kocht im Wald gefundene Pilze, samt einer toten Amsel, röstet Ameisen, brüht Tannennadeltee und ersinnt für den kranken, zunehmend schwächer werdenden Elias eine wild mäandernde Geschichte.

Der hängt an ihren Lippen, will unbedingt wissen, wie sie weitergeht, diese Geschichte. Aber er nimmt auch Einfluss auf deren Verlauf, meldet Wünsche, wie etwa das Erscheinen eines Drachen oder eines Vulkans an, die seine Schwester zu erfüllen bemüht ist. Deshalb ist Steinfests aktueller Roman freilich auch ein Buch über das Erzählen.

Etwas Neues

Er habe das Gefühl gehabt, sagt Steinfest, „dass es an der Zeit war, etwas Neues zu machen und da war das Bedürfnis nach Reduktion. Dass man sagt, ich nehme wenige Figuren, ich nehme praktisch nur einen Ort, an dem diese Geschichte spielt. Ich wollte gewissen Gefahren entgehen. Ich stehe zu meinen alten Büchern, absolut, aber es besteht nach einiger Zeit immer die Gefahr, dass man sich wiederholt, dass eine Art von Manierismus entsteht. Hier war das Bedürfnis, mal etwas ganz anderes zu machen, aber ich sehe das jetzt nicht als ein Buch gegen die anderen Bücher, sondern auch als eine neue Form von Konzentration.“

Ernst, einfühlsam, mit einigen sacht hingetupften, poetischen Nuancen erzählt Steinfest seine Geschichte aus einer Perspektive, die nah an Miriam ist. Im zweiten Teil des Buches wird der Ton dann etwas leichter, weil der Autor gelegentlich jenen Erzähler von der Leine lässt, der da mit etwas mehr Abstand die Figuren und deren Tun kommentiert, wenn da etwa steht:

Miriam sollte insgesamt ein arroganter Mensch werden. Man muss aber sagen: zu Recht. Die Welt, wie sie ist, verdient Verachtung.

Ganz schlicht kommt diese Geschichte daher, in der es etwa um die Grenzen zwischen Denken und Glauben, zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Leben und Fiktion geht. Wo fängt das eine an und hört das andere auf? Wie viel Traum ragt ins Leben und wie viel gar in die Welt? Und wie viel Kraft und Erkenntnis lässt sich aus dem jeweils anderen schöpfen? Schräge Figuren, surreale Situationen oder Krimielemente darf man hier nicht erwarten. Aber welche Richtung wird Heinrich Steinfest denn nun schreibend einschlagen? Ist der Krimi für ihn künftig passé?

Genrefrei?

Steinfest winkt er ab. Den Krimi empfinde er nun keinesfalls als überwundene Kinderkrankheit. „Aber ich denke, es kommt jetzt eine Phase mit Büchern, die genrefrei sind. Andererseits sehne ich mich noch immer nach einem Science-Fiction-Roman – also nicht nur Science-Fiction-Anteile in den Büchern, das gab es ja vorher auch – sondern einen, der dann auch dezidiert ein Science-Fiction-Roman ist und sicherlich auch nochmal Kriminalromane. Ich könnte mir sogar vorstellen, mal einen „richtigen“ Kriminalroman zu schreiben, der frei ist von den Elementen, die ich bisher zum Kriminalroman dazu gefügt habe. Es kann also sein, dass es in Zukunft weniger Collagen und mehr reine Formen gibt, die aber wiederum nebeneinander existieren.“ Dieser Autor bleibt spannend.

Frank Rumpel

Heinrich Steinfest: Das himmlische Kind. Droemer-Verlag. 312 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsseite zum Buch.

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