Geschrieben am 22. Februar 2012 von für Bücher, Litmag

Heiko Arntz (Hg.): Der komische Kanon

Deutsche Komik

– Mit triefender Nase sitze ich an meinem Schreibtisch, während nur wenige Meter von unserer Wohnung entfernt Alt und Jung dem alljährlichen Karnevalsumzug entgegenfiebert. Es ist Rosenmontag, der Höhepunkt der sogenannten närrischen Saison, und wann wäre die Gelegenheit besser, sich endlich jenem voluminösen Prachtband zuzuwenden, der seit einigen Monaten als attraktiver Blickfang mein Bücherregal ziert. Unter dem munter alliterierenden Titel „Der komische Kanon“ werden Texte deutschsprachiger Erzähler aus fünf Jahrhunderten versammelt, die, so Herausgeber Heiko Arntz, geeignet sein sollen, „hier und heute zu belustigen und zu begeistern“.

Und da Arntz, einst Lektor im Zürcher Haffmans Verlag, dessen Verdienste um die Kanonisierung komischer Literatur kaum zu überschätzen sind, ein ausgewiesener Fachmann ist , möchte man ihm gerne glauben. Allein, so ganz einfach ist die Angelegenheit nicht. Schon der Umstand, dass mehr als 400 Seiten der Literatur des 20. Jahrhunderts gewidmet sind, während für die Auswahl komischer Texte aus den Jahren 1599 bis 1899 274 Seiten auszureichen scheinen, gibt zu denken. Denn selbst diese dürften so leicht nicht zu füllen gewesen sein. Anders lässt sich die Aufnahme einer zwar lehrreichen, aber nicht einmal zum Schmunzeln Anlass gebenden Lessing-Fabel oder eines gemäßigt witzigen Auszugs aus Theodor Fontanes „Lebenserinnerungen“ kaum erklären. Auch Kleists oft gedruckte „Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg“ ist nicht unbedingt ein Schenkelklopfer.

Feine Situationskomik hingegen beschert ein Auszug aus Karl Philipp Moritz’ Entwicklungsroman „Anton Reiser“, in dem eine missratene „Werther“-Dramatisierung geschildert wird. Lustig geht es auch bei Grimmelshausen, Jean Paul oder E.T.A. Hoffmann zu. Und doch ist zu befürchten, dass die Meinung der im Vorwort zitierten englischen Schriftstellerin Fay Weldon, ein Buch des deutschen Humors könne nur ein schmales sein, nicht ganz unberechtigt ist, zumindest was die Zeit vor 1900 angeht. (Man nenne mir einen deutschen Autor des 18. Jahrhunderts, dessen Romane sich heute noch mit ähnlichem Vergnügen lesen lassen wie die eines Henry Fielding.)

Je näher Arntz’ Anthologie der Gegenwart kommt, desto komischer wird es. Allerdings finden sich hier auch die üblichen Verdächtigen. Ludwig Thoma, Roda Roda und Karl Valentin müssen sich ihren Platz im Humorkanon ebenso wenig erkämpfen wie Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid oder Max Goldt. Sie durften sich einst eher der, inzwischen glücklicherweise geklärten, Frage stellen, ob was zum Lachen reize, auch gute Literatur sein könne. Also gilt das Augenmerk vor allem dem Unerwarteten. Hat Robert Musil komische Seiten? Na ja. Kann Ilse Aichinger witzig sein? Bedingt würde ich nach der Lektüre ihrer hübsch absurden Erzählung über die Herkunft sogenannter „Bauernregeln“ sagen. Doch Humorempfinden ist auch eine Sache des individuellen Geschmacks, wie jeder weiß, der in diesen Tagen den Fernseher einschaltet.

Und so sei Heiko Arntz, der seine Sammlung mit einem ausführlichen erklärenden Nachwort beschließt, für seine Arbeit gedankt. Man liest den „Komischen Kanon“, wenn auch nicht immer übermäßig amüsiert, auf jeden Fall mit Gewinn.

Joachim Feldmann

Heiko Arntz (Hg.): Der komische Kanon. Deutschsprachige Erzähler von 1499 – 1999. 752 Seiten. Großformat im Schuber, Lesebändchen. Galiani Verlag Berlin 2011. Ca. 700 Seiten. 49,99 Euro.

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