Geschrieben am 22. November 2007 von für Bücher, Litmag

Hanjo Kesting: Begegungen mit Hans Mayer

Europäer, Weltbürger und ein Deutscher auf Widerruf

Die Erinnerungen eines großen Hörfunkjournalisten an seinen Lehrer und Mentor Hans Mayer als ein Dokument einer im Verschwinden begriffenen deutschen Bildungswelt.

Jüngst hat die Bayerische Akademie der Schönen Künste dem Schriftsteller Yves Bonnefoy und dem Übersetzer Friedhelm Kemp, zwei großen ‚Alten’ der deutschen wie der französischen Literatur, den „Horst-Bienek-Preis“ für Lyrik zuerkannt. Beide seien, so hieß es in der Begründung „Leuchttürme aus vom Verschwinden bedrohten Bildungswelten“. Auch der nüchtern aufgemachte Band mit Texten von Hanjo Kesting über den 2001 verstorbenen Germanisten Hans Mayer gibt noch einmal Zeugnis von einer Welt des Geistes und der öffentlichen intellektuellen Verständigung, die es in dieser Form bald nicht mehr geben wird. Kesting war für viele Jahre für Kultur und Literatur verantwortlicher Redakteur beim NDR-Hörfunkstudio in Hannover. Wer das Glück hatte in dieser Zeit ( von den siebziger bis neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ) im Sendebereich des NDR zu leben, fand über die unendlich vielen Sendungen von und mit Hanjo Kesting einen einzigartigen Zugang zur Weltliteratur und zeitgenössischen deutschsprachigen Kultur. Einer der wichtigsten intellektuellen Mentoren von „NDR 3“ war der für kurze Zeit an der Universität Hannover als Germanist lehrende Hans Mayer. Den Lebenserinnerungen „Ein Deutscher auf Widerruf“ kann man entnehmen, daß das oft kühl, geschäftig-graue und wenig anregend erscheinende kulturelle Leben Hannovers dem stets mehr mit dem Welt- als dem Kleinbürgertum sympathisierenden Mayer wenig gefallen hat. Zwar gab es in der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität ein starkes ‚linkes Milieu’, das dem linken Professor Mayer sehr wohlgesonnen war, aber trotzdem blieb er auch dort mit seinem niemals geleugneten bürgerlichen Auftreten immer ein Fremdkörper. Am liebsten wäre ihm wohl gewesen, wenn man gut gekleidet ( noblesse oblige ) systematisch die Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels in stets blitzblank geputzten Seminarräumen gelesen hätte. Einzig im Funkhaus am Leineufer empfing man ihn mit offenen Armen und einer neugierigen Bereitschaft, von seinem großen literarischen Wissen und seinem noch größeren Bekanntenkreis zu lernen.

Ein Advokat demokratischer deutscher Kultur

Über die vielen Begegnungen mit Hans Mayer hat Hanjo Kesting jetzt einen schmalen, aber bemerkenswerten Band mit Gesprächen und eigenen, dem Germanisten und Musikkenner Mayer gewidmeten Essays gewidmet. Man glaubte schon vieles über und von Hans Mayer gelesen zu haben als man diesen Band zur Hand nahm, aber dann wurde man doch noch überrascht. Besonders gelingt es dem Musikkenner Kesting in einem langen Gespräch mit Mayer dessen – für einen Marxisten jüdischer Herkunft – vielleicht erstaunlich große Liebe zur Musik Richard Wagners hervorzulocken. „Ein unermeßlich großer Meister, der uns in jedem Augenblick in seinen Bann zieht, nicht nur in Bayreuth, sondern in jedem Opernhaus, wenn er gut aufgeführt wird…Und viele Werke Wagners sind große Kunstwerke des Bösen.“ Zeit seines Lebens war Mayer ein leidenschaftlicher Advokat deutscher demokratischer Kultur in der Tradition von Reformation, Aufklärung und des Republikanismus der Weimarer Jahre. immer aber blieb er skeptisch gegenüber dem schwelenden Antisemitismus, der für ihn immer leicht entflammbar war. „Aber daß der Widerruf nach wie vor virulent ist, zeigt die entsetzliche Tatsache eines Antisemitismus ohne Juden in Deutschland. Das heißt Leute, die nie einen Juden gesehen haben, die gar nicht wissen, wer und was das ist, treten eine Erbschaft an mit gegenstandslosem Hass. Das zeigt, daß der Widerruf total gewesen und nach wie vor geblieben ist“ / Mayer ). Sehr lesenwert ist besonders der lange, den Band abschließende Essay von Kesting über den „Weltbürger und Außenseiter“ Hans Mayer, der für den Autor sicherlich auch einer seiner großen Lehrer gewesen ist. Hier entfaltet Kesting noch einmal am Beispiel der Biographie Mayers ein ganzes Panorama deutscher Geistesgeschichte im vergangenen Jahrhundert, in dem man sich nicht mit Stolz, aber sehr guten Gewissens heimisch fühlen kann. Kesting schildert Mayer als „Europäer, als Kosmopolit, als Weltbürger“. Wie anders koennte man sich denn als Deutscher definieren nach den Katastrophen und den Massenverbrechen, die den aufgeklärten Juden, Liebhaber Heines und Brechts, Kenner der Gebrüder Mann und Tucholskys, Freund Blochs und Erich Frieds sein ganzes Leben lang beschäftigt haben…?

Carl Wilhelm Macke

Hanjo Kesting: Begegungen mit Hans Mayer. Wallstein Verlag, Göttingen, 2007, Kartoniert. 127 S., 12 Euro, ISBN: 3835301918