Intoleranz, Autoritätsfixierung und Radikalisierung?
– Vor vier Jahren erregte Hamed Abdel-Samad großes Aufsehen mit seiner kritischen Analyse „Der Untergang der islamischen Welt“. Inzwischen gab es Fatwa-Aufrufe gegen ihn, doch der Deutsch-Ägypter lässt nicht locker: Er geht im neuen Band „Der islamische Faschismus“ der extremen Intoleranz, Autoritätsfixierung und Radikalisierung des Islam nach. Von Peter Münder
Nicht nur Abdel-Samads stoische Gelassenheit und sein Mut angesichts der gegen ihn von fanatischen Mullahs verhängten Todes-Fatwa sind bewundernswert. Es ist schon beeindruckend, mit welchem analytischen Scharfblick der 1972 in Kairo geborene Historiker und Islamwissenschaftler (Mitglied der Islamkonferenz), der Politologie in Berlin studierte und in München über das Judenbild in ägyptischen Schulbüchern promovierte, den Blick für historische Zusammenhänge und für eine Meta-Ebene bewahrt, die weit über seine eigenen Probleme und die Attacken verblendeter Fundamentalisten hinausgeht.
Als er vor vier Jahren trotz der aufkommenden hoffnungsfrohen Erwartungen hinsichtlich eines Arabischen Frühlings die demokratischen Defizite islamischer Staaten anprangerte und darauf hinwies, dass im Nahen Osten außer Israel kein einziger Staat demokratische Strukturen aufweise, dass Korruption sowie autoritäre Herrschaftsmechanismen jeden Ansatz von dynamischen Modernisierungsbestrebungen verhindere, war die Empörung bei Islamisten natürlich besonders extrem. Aber er wagte es auch, seine Thesen in Kairo vor Studenten vorzutragen, was ihm dann die Fatwa bescherte – ihm wird seitdem Polizeischutz gewährt.
In seinem Fazit (in „Untergang der islamischen Welt“, vgl. Rez. v. 24/8/2011 auf cultmag.de) verwies er auf die grundlegende Reformresistenz des Islam, auf das chronische Beleidigtsein, das zum radikalen anti-westlichen Fundamentalismus führte. „Sie sehen sich immer noch als Träger einer Hochkultur und können sich nicht damit abfinden, dass sie eine führende Position in der Welt längst verloren haben“, kommentiert Abdel-Samad. Doch die immer noch gepflegte Illusion einer Ideologie der Überlegenheit liefere eben auch den Nährboden für terroristische Dschihadisten. Und der Kampf gegen „Ungläubige“ wird mit Hinweisen auf den Koran gerechtfertigt, wo es in Sure 2:191 heißt: „Und tötet sie, wo ihr sie (die Ungläubigen) zu fassen bekommt“. So werden dann auch hierzulande militante Salafisten zum bewaffneten Kampf gegen Christen aufgehetzt – wie in Dortmund Ende 2013 vom Prediger Abu Abdullah – oder sie ziehen nach Syrien, um sich dort einer terroristischen Gruppierung anzuschließen.
Ernüchterter Rückblick auf die Unterdrückung der Reformbewegung
Aber berechtigte die revolutionäre Aufbruchsstimmung während der Protestdemonstrationen und Revolten in Tunesien, Ägypten und Libyen nicht zur Hoffnung, eine demokratische Systemerneuerung sei in islamischen Ländern doch möglich? Der Skeptiker Hamed Abdel-Samad blickt trotz seiner eigenen Reformations-Euphorie während des Arabischen Frühlings ernüchtert zurück auf die Unterdrückung dieser Reformbewegung durch eine autoritätsfixierte Clique: „ Die Ägypter haben zwar in drei Jahren zwei Diktatoren gestürzt, aber gleich wieder nach dem Führer gerufen“, konstatiert er. Und die Todesstrafe für 529 Muslimbrüder, die das Militärregime nach Mursis Absetzung verhängte, hält er für ein furchtbares Justizmassaker.
Wenn Abdel-Samad sich auf die Spur nach dem faschistoiden islamischen Kern macht, den er schon in der islamischen Urgeschichte ausmacht, dann geht er auch ganz konkreten historischen Ereignissen und Beziehungen nach wie etwa der ägyptischen Nazi-Connection. Und dieser Rückblick auf die Faruk-Epoche, auf die engen Verbindungen der Muslimbrüder zu deutschen Nazi-Gruppen in den 1930er und 1940er Jahren und auf ägyptische Attentate, die mit Nazi-Unterstützung durchgeführt wurden, liefert uns verblüffende Einsichten. Nicht nur hinsichtlich der Instrumentalisierung demokratischer Instanzen und Verfahren – etwa bei der Beteiligung an Wahlen, um demokratische Strukturen aus einer Position der Stärke zu eliminieren („Demokratie als trojanisches Pferd“). Erhellend sind auch die historischen Exkurse mit Verweisen auf internationale Querverbindungen: Im antisemitischen Hass vereint waren ägyptische Muslimbrüder mit deutschen und italienischen Faschisten, als es um die Verhinderung der Gründung eines jüdischen Staates ging und selbst zur japanischen Regierung bestanden damals Kontakte – die von den Muslimbrüdern verbreitete wirre These von der globalen jüdischen Weltverschwörung fand jedenfalls viele Anhänger.
Keine simple These eines großen Vereinfachers
Hier will uns kein großer Vereinfacher eine simple These unterjubeln; Hamed Abdel-Samads immenses Erkenntnisinteresse ist immer präsent und regt den Leser an, sich auf diese differenzierte Auseinandersetzung mit dem faschistoiden islamischen Ideen- und Herrschafts- Konstrukt einzulassen. So erwähnt der Deutsch-Ägypter etwa, dass Islamisten nicht an eine Reformierbarkeit ihrer Gesellschaften durch wirtschaftspolitische Pläne glauben, sondern nur an den ewigen Kampf gegen das Böse, an den permanenten Dschihad, der zum Reich Gottes auf Erden führen soll. Doch dieses Ziel wird wohl nicht durch die Einheit aller Muslime erreicht werden, weil es zu viele unterschiedliche muslimische Richtungen und Sekten gibt, die sich stark voneinander unterscheiden oder sich bekämpfen.
Laut Mohamed sollte es eine Spaltung in 72 Sekten geben, von denen 71 einer Irrlehre folgen und in der ewigen Hölle enden würden, während nur eine auf dem richtigen Weg sein würde. Da sich jede muslimische Gruppierung für die einzig wahre und gerettete hält und jede andere als Häretiker-Clique ausgrenzt, werden die Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Ahmadiyya, Sufis und Aleviten mit fundamentalistischem Furor ausgetragen.
Überspitzt ausgedrückt gibt es bei Muslimbrüdern, Salafisten und anderen Islamisten kein Konzept für ein modernes Staatsgebilde, dafür aber permanente Vorbereitungen für die letzte Schlacht – das Böse lauert für einen richtigen Islamisten eben immer und überall. So wähnen sich die militanten Dschihadisten auf dem Weg zum bevorstehenden Endsieg, während kritische Analytiker wie Abdel-Samad aufgrund der beschriebenen Symptome der islamischen Krankheit – nämlich Reformresistenz, Autoritätsfixierung und Führergehorsam, Modernisierungs-Aversionen, Ausgrenzung Andersdenkender – vom bevorstehenden Untergang des Islamismus überzeugt sind.
Ein flüchtiger Blick auf jüngste Ereignisse wie die aggressive, auf Rache-Aktionen erpichte Rede des türkischen Premiers Erdogan nach den Wahlen zeigt, wohin die Reise geht, wenn ein machtbesessener islamischer Politiker sich wie ein Diktator aufführen und oppositionelle Stimmen mundtot machen kann. Die 76 zurzeit in türkischen Gefängnissen inhaftierten Journalisten – laut Abdel-Samad weltweit die meisten – zeigen eindringlich, mit welchen brutalen faschistoiden Methoden kritische Stimmen ausgeschaltet werden.
Indoktrinierendes Brainwashing
Bemerkenswert ist schließlich Abdel-Samads vergleichende Betrachtung zur völlig unterschiedlichen Vergangenheitsbewältigung von Deutschen und Muslimen: Nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg hätten die meisten Deutschen nicht lange gebraucht, um zu verstehen, dass nicht die alliierten Bomberstaffeln Schuld an ihrer Misere waren, sondern sie selbst in ihrem verblendeten nationalistischem Größenwahn, und dass der von den Nazis angezettelte Krieg kein gerechter war. Da aber die Islamisten noch nie eine schwere militärische oder moralische Niederlage erlitten hätten, meint Abdel-Samad in seinem Fazit, hätten sie ihre Überzeugungen auch nie kritisch überprüft – auch deswegen nicht, weil die ungläubigen anderen ja immer auf dem Irrweg waren.
Dreimal war die Muslimbruderschaft verboten worden – in den 1940er und 50er Jahren und 2013 – doch ihr Gedankengut sei nie ausgetrocknet worden. „Die Unantastbarkeit der Religion war die Hintertür, durch die diese Vereinigung immer wieder den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft gefunden hat“ schreibt der frühere Anhänger der Muslimbrüder, der sich als junger Mann in Ägypten aus der Bruderschaft ausklinkte, als er erlebte, bis zu welchen Extremen das indoktrinierende Brainwashing betrieben wurde. Und er fährt fort: „Das Prinzip des Dschihad als gottgewollte Praxis, der Traum vom Sieg des Islam, die Einstufung Ungläubiger als Untermenschen – all das ist nach wie vor Bestandteil des Bildungskanons in den meisten islamischen Staaten und bildet das Fundament für den Terrorismus“.
Einen zur islamischen Radikalisierung beitragenden Aspekt hat Abdel-Samad in seinen klugen, sehr plausiblen Überlegungen allerdings ausgeblendet: Nämlich die überhastete, unausgegorene Interventions-Strategie der NATO-Staaten, die häufig erst die islamistischen Terroristen heranzüchtete, die sie bekämpfen wollte. Nicht nur die Rettungsaktion westlicher Demokratien scheiterte am Hindukusch, auch die mit Hilfe von Lügenkonstrukten inszenierte amerikanische Haudrauf-Intervention im Irak und die in Libyen spontimäßig durchgeführten anglo-französischen profilneurotischen Aktionen in James Bond-Manier wurden zum totalen Flop. Jetzt streunen nach dem Kollaps staatlicher Behörden und Kontrollapparate marodierende kriminelle Milizen durch den Wüstenstaat, kapern Öltanker, betreiben Kidnapping und können sich als Rächer der Enterbten in blutigen Gewaltorgien austoben. Und unsere auf noch mehr Interventionen fixierte Verteidigungsministerin wird wohl mit weiteren Auslandseinsätzen der Bundeswehr in umkämpften afrikanischen islamistischen Zonen dafür sorgen, dass man aus den Fehlern der Geschichte möglichst wenig lernt. So werden sich schließlich viele Dschihadisten wieder durch ein Feindbild vom hochgerüsteten ungläubigen Neandertaler bestätigt fühlen.
Jedenfalls sollte diese spannende Studie von Hamed Abdel-Samad zur Pflichtlektüre für alle am Islam Interessierten gehören.
Peter Münder
Hamed Abdel-Samad: Der islamische Faschismus. Eine Analyse. Droemer, März 2014. 223 Seiten. 18,00 Euro.