Geschrieben am 1. Februar 2016 von für Bücher, Litmag

HAM.LIT-Special: Jackie Thomae: Momente der Klarheit

Thomae_24943_MR1.inddWitzig und böse

– Es gibt keine Liebe mehr unter den Menschen, jedenfalls keine romantische, die „bis der Tod euch scheidet“ haltbar wäre, nicht unter den Kreativ-Berlinern in Jackie Thomaes Debütroman. Die 1972 in Halle geborene Journalistin und TV-Autorin erzählt die Geschichten urbaner Normalneurotiker*innen, die miteinander befreundet, verwandt, liiert, verheiratet oder irgendwie um die Ecke verbandelt sind. Einige von ihnen halten plötzlich inne und stellen fest, dass die Liebe fort ist, jenes Phänomen, von dem sie glaubten, es begründe ihre Zweisamkeit, ja ihr Leben. Von Anne Kuhlmeyer

Da ist Bender, der Musikmanager. Während einer Clubparty anlässlich eines 40. Geburtstages bewundert er seine Doro, wie sie ausgelassen auf dem Tresen tanzt, bis eine junge Frau über die Ältere spottet und Doro eine Kleinmädchenschnute zieht. Auf einmal ist er weg, der liebende Blick und Bender auch. Durch einen Anwalt lässt er seiner Partnerin das Ende der zehnjährigen Beziehung mitteilen. Doro verliert. Freunde, berufliche Chancen, Halt. Halt suchen alle, und das Besondere. Im anderen, in der Anerkennung, in Alkohol, Drogen, Esoterik.

Maren verlässt den erfolgreichen Anwalt Clemens angeblich wegen seiner Mittelmäßigkeit, hört auf zu trinken und wendet sich, geläutert, ans Universum. Engelhardt, der Regisseur, langweilt sich derart, dass er auf einer Party aus dem Fenster springt, um einmal etwas Anderes zu tun. Bald darauf trennt er sich von Susanne, die nichts mehr fürchtet als Spießigkeit.

Jackie Thomae © Urban Zintel

Jackie Thomae © Urban Zintel

Verbindungen zerbrechen, neue Lieben entbrennen, mit neuen Hoffnungen auf Glück. Man hat die Jugend hinter sich und die Frage der mittleren Jahre – Was mache ich mit dem Rest meines Lebens? – stellt sich. An sich keine sehr originelle Basis, wären da nicht die genau gezeichneten Charaktere, die unerbittliche Komik und die Melancholie, die dem Episodenroman zum Sound-Track wird. Der einzige Moment, der wirklich mit Hoffnung erfüllt ist, findet in einem Nest auf der Schwäbischen Alb statt. Susannes Vater hat sich verliebt, mit 74, nach jahrzehntelanger Ehe. Nur hat ein Schlaganfall ihn der Worte und Möglichkeiten beraubt. Aber irgendwie geht das Leben weiter, seines und das der Berliner Kulturleute. Zumindest das Überleben. Denn wie eine Krankheit hat sich die Leere in allem Tun, allem Streben eingenistet. Und sie verflüchtigt sich nur für Augenblicke, in denen die Zweifel, ob man im richtigen Leben angekommen ist, schweigen. Der Roman erzählt von dem schmerzhaften Prozess zur Erkenntnis, dass man allein ist als Individuum, wie er sich eben mehr oder weniger geglückt in den mittleren Jahren vollzieht. Simple Lösungen bietet er erfreulicherweise nicht.

Wunderbar witzige, böse, absurde Szenen gelingen Thomae, die sich bestens im Kulturbetrieb auskennt. Beispielsweise wird das Interview der Historikerin Vesna aus einer TV-Reportage geschnitten, weil sie zu schön ist. Die Schuld gibt man ihrer Maskenbildnerin Doro. „…Darf eine gut aussehende Frau bei euch nichts Kluges sagen, oder was?“, fragt die. Darauf der Chefredakteur: „Pornostar? Hollywoodstar? Das geht alles nicht. Hier geht’s um Massenmord, Mädels!“ Ubiquitärer Alltagssexismus zum Schreien komisch in Szene gesetzt.

Die kleinen Beobachtungen in einem halbgeschlossenen sozialen System, ihre Artifizierung, die Übertreibung und die Herauslösung aus dem Banalen sind es, die den Roman zu einem Vergnügen machen.

Anne Kuhlmeyer

Die Autorin liest am 4.Februar auf der HAM.LIT 2016, der langen Nacht junger Literatur und Musik in Hamburg.

Jackie Thomae: Momente der Klarheit. Roman. Hanser Berlin, 2015. 288 Seiten. 19,90 Euro.

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