Geschrieben am 31. August 2006 von für Bücher, Litmag

H.-J. & G. Wohlfromm: Und morgen gibt es Hitlerwetter!

Braunes Allerlei

Viele Deutsche meinen über das Dritte Reich schon alles zu wissen. Weit gefehlt. Wer das in Listen, Chroniken und Schautafeln aufbereitete Quellenmaterial des Historiker-Ehepaars Wohlfromm sichtet, wird sicher viel Neues, aber leider auch viel Unkommentiertes entdecken.

Wussten Sie, dass die Deutsche Wehrmacht mit Coca-Cola-Reklame an den Mannschaftswagen in den Zweiten Weltkrieg zog? Oder das Reichsmarschall Hermann Göring einen sagenhaften IQ von 138 hatte. Mit solchen „Neuigkeiten“ kann demnächst glänzen, wer das Nazi-Sammelsurium „Und morgen gibt es Hitlerwetter!“ aus dem Eichborn Verlag gelesen oder einfach nur flüchtig durchgeblättert hat.

Lautstarke Quellen, die schweigen

In Historikerkreisen wird dem Halbwissenden das Staunen und der Beifall wohl versagt bleiben. Denn das große Manko dieser Listen- und Faktensammlung ist die äußerst spärliche Kommentierung, die fehlende Einordnung in die geschichtlichen Abläufe, Bedingungen und Zusammenhänge. Was sagt mir die Zahl der Führerscheinprüfungen im Jahr 1938, wenn ich nicht weiß, wie teuer die Fahrstunden, wie groß die Dichte der Fahrschulen und welcher Statuszuwachs damit verbunden war. Was sagen mir die Einzelhandelspreise für Anzüge und Kochtöpfe, wenn ich nicht weiß, was ein Arbeiter oder ein Angestellter durchschnittlich verdient und verbraucht hat? Sehr wenig bis gar nichts. Und galt die schwere Beleidigung des Führers seitens eines Ehepartners wirklich jemals als relevanter Scheidungsgrund? Das Quellenmaterial spricht in den seltensten Fällen für sich allein. Missverständnisse und Spekulationen sind vorprogrammiert. Und das wissen nicht nur professionelle Historiker, sondern auch gebildete Laien.

Mitunter werden aber auch die historischen Fundstücke eins zu eins übernommen. Ob den „Tatsachen“ im häufig zu Rate gezogenen Nachschlagewerk „Schlag nach! Wissenswerte Tatsachen aus allen Gebieten“ des Bibliographischen Instituts immer zu trauen ist, war keine Frage, der sich die Autoren gestellt haben. Dass viele Artikel der im gleichen Hause aufgelegten Enzyklopädie vom nationalsozialistischen Gedankengut infiziert waren, ist wahrlich kein Geheimnis. Nicht umsonst sprechen Historiker und Antiquare auch vom „Nazi-Meyer“.

Der Schott-Faktor

Die Autoren und der Verlag haben sich von den erfolgreichen Listenbüchern eines Ben Schott inspirieren lassen. Aber mit historischen Quellen kann man nicht genauso umgehen wie mit Informationen zur Alterserwartung von Bäumen oder internationalen Kleidergrößen. Historische Zahlen und Zitate sind weitaus erklärungsbedürftiger. Ganz unabhängig davon, ob es sich um „Fakten“ aus dem Dritten Reich oder anderer historischer Zeitabschnitte handelt.

Weniger wäre bei dieser Kompilation vermutlich mehr gewesen. Man hätte die Statistik zu den „Obstbaumbeständen im Deutschen Reich 1938“ getrost streichen können. Und dafür kurz kommentierten Artikel wie den über den Selbstmord im Dritten Reich mehr Raum geben sollen. Denn das Historiker-Ehepaar hat einiges „Alltägliches und Kurioses“ ausfindig gemacht, was der genaueren Betrachtung wert gewesen wäre. Wieso wurde Hitler 1938 vom US-Magazin Time zum „Mann des Jahres“ gewählt? Warum stieg der Bierkonsum im Deutschen Reich seit 1933 kontinuierlich an? Auf all diese Fragen hätte man gerne ausführlichere Antworten bekommen. Statt dessen werden historische Wissenshäppchen gereicht, die leicht verdaulich sind, aber einen geringen Nährwert besitzen.

Jörg von Bilavsky

Hans-Jörg Wohlfromm & Gisela Wohlfromm: Und morgen gibt es Hitlerwetter! Alltägliches und Kurioses aus dem Dritten Reich. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006. 256 Seiten. 19,90 Euro. ISBN 3821856297.