Geschrieben am 12. Februar 2011 von für Bücher, Crimemag

Qiu Xiaolong: Tödliches Wasser

Gut und aufrecht

Oberinspektor Chen, Qiu Xiaolong und Eva Karnofsky – eine schöne Kombination. Lesen Sie, warum…

Ich gestehe, ich bin ein Fan von Oberinspektor Chen. Ungeduldig harre ich immer seines nächsten Falls. Und werde nie enttäuscht. Ich könnte viele hehre Argumente dafür anführen: Das Reich der Mitte hat mich schon immer interessiert, das chinesische Wirtschaftswunder erst recht. Und keiner versteht es so gut wie dieser Oberinspektor aus Shanghai, mir vorzuführen, wie es funktioniert. Oder wie es der Allmächtigen Partei gelingt, trotz wirtschaftlicher Freiheiten die Fäden in der Hand zu behalten.

Ich könnte auch behaupten, mich faszinierten nur die Gedichte der alten Meister seines Landes, die er passend zu jeder Gelegenheit parat hat und damit beweist, dass die Moderne so modern gar nicht ist. Und wenn ihm tatsächlich einmal etwas widerfährt, zu dem die Lyriker der verschiedenen Dynastien nichts beizutragen haben, schreibt er selbst schnell ein paar nachdenkliche Zeilen.

Der gute Mensch…

Doch der wahre Grund für meine Verehrung ist weder politischer noch literarischer Natur: Oberinspektor Chen ist durch und durch gut, so gut, wie ich auch gern wäre! Er hat nur einen Fehler: Er raucht wie ein Schlot (doch da ich selbst diesem Laster fröne, macht ihn mir dies nur noch sympathischer). Mit Hilfe der Partei hat er rasch Karriere in der Polizei gemacht, ohne sich jemals zu verbiegen. Vielmehr lebt er für die Gerechtigkeit, der er auch stets gegen sämtliche Widerstände in Polizei und Partei (wobei letztere immer das Sagen hat) zum Sieg verhilft. Und alles, was schief läuft im chinesischen Turbo-Kapitalismus, lässt ihn leiden. Außerdem ist er stets um das Wohl seines Mitarbeiters bedacht, des ebenso untadeligen Hauptwachtmeisters Wu. Um seine alte Mutter kümmert er sich natürlich auch. Und gegenüber dem weiblichen Geschlecht verhält er sich stets, wie frau es sich wünscht: respektvoll und Kavalier alter Schule, mit Schulter zum Anlehnen.

Sein sechster Fall ist eigentlich gar nicht seiner, da sich Chen im Urlaub in Wuxi befindet. Sein Gönner im Politbüro hat ihn zur Erholung in das dortige Ferienheim der Partei für höhere Kader geschickt (sein Zimmer im „Heim“ entpuppt sich als Villa mit neun Zimmern und Chen plagt täglich sein Gewissen ob des unverdienten Privilegs), malerisch gelegen am Taihu-See. Gleich am ersten Tag verliebt sich der Oberinspektor in die junge Umweltingenieurin Shanshan, die er in einem Imbiß-Restaurant kennenlernt. Am Tag zuvor wurde deren Chef ermordet, der Direktor einer Chemiefabrik, die mit dafür verantwortlich ist, dass sich der Taihu-See in eine stinkende Kloake verwandelt hat. Der bloße Kontakt mit dem Wasser führt zu Hautschäden. Shanshan hat sich mit ihrem Chef ständig angelegt, weil es diesem, wie auch den übrigen Industriebetrieben der Gegend, nur um Gewinnmaximierung ging. So zählt sie schnell zum Kreis der Verdächtigen. Keine Frage, dass sich Chen einschaltet. Er ermittelt undercover.

Wenn die Wirtschaft wächst…

Autor Qiu Xiaolong – in Shanghai geboren, 1988 in die USA ausgewandert und dort als Professor für chinesische Literatur tätig – erzählt chronologisch, gradlinig und nie langweilig. „Tödliches Wasser“ ist ein besonders starker Auftritt von Oberinspektor Chen, nicht nur, weil der Leser mit ihm um Shanshan fürchtet, sondern auch, weil Xiaolong klar, aber niemals moralinsauer aufzeigt, welch hohen Preis China für sein Wirtschaftswachstum zahlt – und wie gering das Interesse der Partei ist, daran etwas zu ändern. Oberinspektor Chen wird zwar am Ende nicht der Umwelt zuliebe zum Dissidenten, aber gut und aufrecht, wie er ist, verspricht er, den Marsch durch die Institutionen anzutreten.

Und natürlich glaube ich meinem Serienhelden.

Eva Karnofsky

Qiu Xiaolong: Tödliches Wasser. Oberinspektor Chens sechster Fall (Don´t cry, Tai lake). Roman. Deutsch von Susanne Hornfeck. Paul Zsolnay Verlag: Wien 2011. 302 Seiten, Euro 19,90.

Eva Karnofskys Website.

„Tödliches Wasser“ bei Zsolnay. Mord auf Chinesisch. Das Qui Xiaolong-Special bei Zsolnay.

Die Homepage von Qui Xiaolong.

Tags :