Geschrieben am 29. Juni 2011 von für Bücher, Litmag

Gion Mathias Cavelty: Die letztesten Dinge

Das Media-Markt-Paradies

– Vor zwei Jahren meldete sich der Schweizer Autor Gion Mathias Cavelty, der Ende der 1990er Jahre in einer Romantrilogie die Literatur auf den Kopf stellte und schließlich radikal dazu aufforderte, endlich Nichtleser zu werden, nach neunjähriger Schreibpause mit einem furiosen Jenseitsroman zurück. Die „Andouillette“ war eine verquere Replik auf Dantes „Göttliche Komödie“, in der der Ich-Erzähler nach seinem Tod einige sehr merkwürdige Abenteuer zu bestehen hat und zu Erkenntnissen gelangt, gegen die Douglas Adams‘ Schaffungsmythen aus der Anhalter-Trilogie sich wie sachliche Reportagen lesen.

„Die letztesten Dinge“ setzt unmittelbar nach „Die Andouilette“ ein. Wer den ersten Roman nicht kennt, kommt dennoch recht schnell in die Geschichte, wenn man sich darauf einlässt, dass grundsätzlich alle Naturgesetze wie auch Glaubensgrundsätze in Frage gestellt werden. Der Erzähler befindet sich am Steuer eines dreirädrigen Kastenwagens auf einer rasanten Fahrt durch das Nichts, im Laderaum Gott, vielmehr eine noch nicht ausgereifte Idee Gottes. Als diese Idee sich weiterentwickelt, ist sie zunächst sehr enttäuschend. Gott hat keine rechte Lust, sich zu Ende zu erschaffen, befindet sich in einer Sinnkrise. Auf Drängen des Erzählers hin erschafft er dann allerdings doch wenigstens das Paradies.

Und weil er sich vom Erzähler beraten lässt, für den der Media Markt in C. der paradiesischste Ort war, den er kennengelernt hatte, nimmt das Paradies in Form eines gigantischen Media Marktes an: „Kein Zweifel: Ich war im Himmel. Im richtigen, wirklichen. Dieser Media Markt war in unendlichem Maße echter als jeder Media Markt, den ich Zeit meines Lebens betreten hatte; diese waren ja auch samt und sonders nur Ideen von Media Märkten gewesen.“

Und weil das Gott-Ding weiterhin so recht keine Lust auf schöpferische Akte legt, erklärt es kurzerhand den Erzähler zu seinem Stellvertreter, zum Herrscher über den himmlischen Media Markt. Sein Wunsch nach der Gestalt von Peter Alexander wird ihm erfüllt – allerdings untenrum gänzlich neutral, da als Vorlage eine DVD-Hülle herhalten musste und das Gott-Ding offenbar nicht wusste, was sich unter dem Glitzer-Smoking zu verbergen hat. Nun streift also Peter Alexander durch die unendlichen Gänge des himmlischen Media Marktes. Die paradiesische Ruhe wird allerdings bald gestört, als die ersten Seelen an die gläsernen Gleittüren des Paradieses klopfen…

Böses Gemüse

Es ist schier unfassbar, was Caveltys Phantasie in diesem Roman entspringt. Die Seelen sind bei weitem nicht so begeistert von dieser Version eines Paradieses, wie es sich der Erzähler gewünscht hätte. Er muss diskutieren mit der Seele eines Satanisten, die sich verarscht vorkommt, weil sie nicht in die Hölle gekommen ist. Einzig die Peter Alexander-Fans, die bei einem Busunfall ums Leben gekommen sind, als dieser von einem Saturn-Laster (!) gerammt wurde, beten ihren neuen Gott förmlich an…

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zur offenen Rebellion gegen diesen „Gott“ kommt, das Technik-Paradies in Schutt und Asche gelegt wird. Da schaltet sich das weiterhin unfertige Gott-Ding ein und verkündet, endlich mit der Schöpfung zu beginnen. Doch mit dem Gemüse will es aufhören, denn „Fleisch, Seelen und solche Dinge bringen automatisch Komplikationen mit sich.“

So wird der Erzähler also zum Gott über eine Gemüsewelt, was ihm als ehemaligen Actionromanautor zunächst langweilig vorkommt. Doch dann entwickelt er einen Blick fürs Detail, sieht Gemüse mit anderen Augen. Er schwärmt für die Schönheit der Tomate, für die Eleganz der Gurke, freundet sich mit einer Rosenkohlfamilie an. Cavelty gibt sogar Einblicke in die gemüsische Sprache. Leider wird der Frieden abrupt beendet, als sich die Auberginen für das Herrengemüse halten und Pogrome gegen Rosenkohl anzetteln und Fenchelknollen versklaven…

Dieser Roman birgt an jeder Stelle, an der man denkt, dass es abgedrehter nicht mehr werden kann, eine neue unglaubliche Wendung, stellt Grundsätze der Weltreligionen auf den Kopf, kümmert sich nicht um Logik. Wieder einmal bietet Cavelty eine wilde Mischung aus Zoten und Philosophie, aus Kalauer und absurdem Humor. Und ein dritter Teil ist bereits in Arbeit.

Frank Schorneck

Gion Mathias Cavelty: Die letztesten Dinge. Basel: Echtzeit Verlag 2010. 128 Seiten. 26,00 Euro. Das kurze Hörstück „Der Teppich“ finden Sie hier. Zur Homepage des Echtzeit Verlags geht es hier.