„Gone Girl“
Manche Bücher findet man so gut, dass man nicht auf die deutsche Übersetzung warten mag. Wir verstehen das. „Gone Girl“ von Gillian Flynn ist so ein Fall, deswegen hat Robert Schekulin für uns das Original gelesen.
Zum Glück ist alles nur Fiktion, Crime Fiction, nur ein Roman. Die Autorin entpuppt sich hier als ebenso gnadenlose, fiese Manipulatorin wie ihre böse strahlende Heldin Amy – vielleicht ein ins Extreme übersteigertes negatives Alter Ego? Dann möchte man diese zu Recht gefeierte Autorin vielleicht lieber nicht persönlich kennen oder gar zur Freundin haben.
Ein wuchtiges, komplexes, starkes, intensives Buch. Randvoll, detail- und anspruchsvoll, unvergesslich. Man kann es – auch dies ja Manipulation – tatsächlich nicht mehr aus der Hand legen. Obwohl man bald merkt, dass die beiden Ich-Erzähler, das Ehepaar Amy und Nick, mit ihrem jeweiligen Erzählstrang unzuverlässig sind, uns und ihre Mitmenschen belügen.
Tiefschwarz
Ein Blick hinter die Fassaden eines Traumpaars. Nick berichtet, wie am fünften Hochzeitstag seine Welt zusammenbricht: Amy ist verschwunden, alles deutet auf blutige Gewalt und ihn als Täter hin. Nach und nach rückt er mit immer mehr unschönen Wahrheiten heraus, während er schildert, wie polizeiliche Ermittlung und öffentliche Suchaktion ganz allmählich die Schlinge um seinen Kopf enger und enger zusammenziehen. Und nicht zuletzt der ganze Medienrummel, denn Amy war landesweit bekannt als reales Vorbild einer populären Kinderbuchserie – eine Story für sich, die zunehmend auch Amys wunderbare Eltern in fragwürdige Figuren verwandelt.
Von Amy selbst erfahren wir zunächst in einer Art Tagebuch die Vorgeschichte ihrer Liebesehe mit Nick, in einer völlig anderen Version. Und später, dann parallel zu seiner Sicht, „ihre Wahrheit“ über die laufenden Ereignisse. Bis zum tief schwarzen Ende.
Die Traumehe der beiden füreinander bestimmten Manhattaner DINKs war durch doppelte Arbeitslosigkeit (en passant: die Krise der Printmedien, das Ende eines Lebensgefühls), den Rückzug in Nicks Provinzheimat und die Mühen des banalen Alltags zu einem Alptraum geworden. Vor allem für Amy. Und wird es nun, mit ihrem Verschwinden, erst recht für ihn: zu einem Alptraum ohne Erwachen, ohne Erlösung. Noir.
Tückische Raffinesse
„Gone Girl“ ist ein Meisterstück, an dem die tückische Raffinesse, sämtliche Haupt- und Neben- und Randfiguren, die sprachliche Brillanz, die atemlose Spannung und der unglaubliche grimmige Witz stets aufs Neue begeistern. Man möchte es, gebeutelt und kopfschüttelnd am Ende, gleich noch einmal lesen: Verdammt, wie hat sie das gemacht?!
(Derzeit lieferbar ist eine schöne britische TB-Ausgabe von Phoenix /Orion Books. Die deutsche Ausgabe erscheint im August 2013 bei Scherz, übersetzt von Christine Strüh, die bereits Gillian Flynns phänomenalen zweiten Roman „Dark Places“ übersetzt hat – meinen Respekt vorab, liebe Christine, ich hätte „Gone Girl“ nicht übersetzen wollen!)
Robert Schekulin
Gillian Flynn: Gone Girl. A Novel
. US-amerikanisches Original 2012 erschienen. Schöne britische TB-Ausgabe 2012 bei Orion Books (A-Format, ca. 10 Euro). Deutsche Ausgabe: Gone Girl – Das perfekte Opfer. Deutsch von Christine Strüh. Scherz Verlag. Gebunden. Erscheint im August 2013. ca. 16,99 Euro.
Gillian Flynn: Dark Places. A Novel. US-Original 2009 erschienen. Deutsche Ausgabe: Finstere Orte. Deutsch von Christine Strüh. Scherz Verlag 2010. Gebunden. Beim Verlag vergriffen. Neuauflage unbestimmt. Bisher keine Taschenbuch-Ausgabe angekündigt.
Gillian Flynn: Sharp Objects. US-Original 2006 erschienen. Deutsche Ausgabe: Cry Baby. Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg. Scherz Verlag 2007. Gebunden. Und Fischer Taschenbuch Verlag 2009. Beide Ausgaben vergriffen. Keine Neuauflagen geplant.