Geschrieben am 24. Mai 2008 von für Bücher, Crimemag

Gilbert Adair: Blindband

Blinde Rache

Gilbert Adairs Fähigkeit ist grandios, eine derart komplex strukturierte und ineinander verzahnte (Kriminal-)Geschichte wie Blindband mit einer solchen Leichtigkeit zu erzählen. Von Frank Schorneck

Mit Mord auf  Folkes Manor und Ein stilvoller Mord in Elstree feierte der schottische Autor Gilbert Adair große Erfolge. Diese Romane sind gleichermaßen Hommage an wie auch Parodie auf den englischen Kriminalroman in der Tradition Agatha Christies. So liebevoll komponiert sie auch sind, es ist doch sehr zu begrüßen, dass der C.H. Beck-Verlag sich auch des Frühwerks von Adair annimmt, denn hier zeigt er sich weitaus vertrackter und, ja, man muss es wohl sagen, auch literarisch anspruchsvoller. Der kleine Schweizer Verlag edition epoca entdeckte Adair für den deutschsprachigen Raum und hier erschien Blindband bereits 1999. Fast zehn Jahre später nun erscheint eine Neuausgabe, überarbeitet durch den Übersetzer Thomas Schlachter.

Blindband ist ein Dialogroman, ein im Wesentlichen aus zwei Stimmen zusammengesetztes Kammerspiel. Der nach einem Autounfall in Sri Lanka monströs verunstaltete und erblindete Autor Paul Reader will nach vier Jahren der selbst gewählten Isolation sein literarisches Testament schaffen und findet durch eine Anzeige in der London Times einen jungen Gehilfen, John Ryder, der für ihn tippen und notwendige Recherchen betreiben soll. Durch Johns Augen wirft Paul einen Blick auf die Welt, von der er vier Jahre lang nicht einmal durch Zeitung oder Radio Notiz genommen hat. So kommt es, dass der Leser viel früher als Paul den Verdacht hegt, dass John Übles im Schilde führt. Ist es nur ein perfider Spaß des herumkommandierten Angestellten, seinen blinden Arbeitgeber glauben zu machen, am Trafalgar Square sei eine Diana-Statue aufgestellt worden, Tony Blair sei wegen einer AIDS-Erkrankung zurückgetreten oder Madonna beabsichtige, den Schauspieler „Michelangelo DiCaprio“ zu heiraten? Oder steckt eine boshafte Absicht hinter den kleinen und größeren Lügengeschichten?

Puzzleteile fügen sich zusammen

Adair lässt den Leser mit Paul gemeinsam im Dunkeln tappen und schafft es, ihn auf verschiedenen Ebenen zu fesseln. Er entwirft mit Hilfe der gekonnten Dialoge zwei faszinierende Charaktere, die wie Schachspieler einander Zug um Zug abtasten. Gleichzeitig lässt er den Leser teilhaben am Entstehungsprozess eines Textes, der wiederum Rückschlüsse auf den Autor selbst zulässt. Das verbale Duell lässt den Leser, nein, den Zuhörer nicht los. Erst zum Ende des Romans erkennt man, wie jedes noch so kleine Puzzleteil sich in das große Gesamtbild einfügt, wie unbedeutend erscheinende Nebensätze zum wichtigen Baustein im Gefüge werden. Sogar die zunächst ärgerlich erscheinenden vermeintlichen Rechtschreibfehler erfüllen in diesem Geflecht eine Funktion. Adairs Fähigkeit, eine derart komplex strukturierte und ineinander verzahnte (Kriminal-)Geschichte mit einer solchen Leichtigkeit zu erzählen, kann nur grandios genannt werden.

Dass ein weiterer Titel Adairs Der Tod des Autors und einer der von Paul geplanten Titel “The Death of the Reader“ lautet, lässt darauf schließen, dass das literarische Puzzlespiel von Adair nicht auf die Seiten zwischen den jeweiligen Buchdeckeln beschränkt bleibt. Es ist nun an den Lesern, die Einladung zum Puzzeln anzunehmen. Thomas Schlachter ist es übrigens hoch anzurechnen, dass er die Idee, die schottische Haushälterin in breitestem bayrischen Dialekt reden zu lassen, in seiner Neuüberarbeitung wieder aufgegeben hat – ein kleines Detail nur, aber das war in der ersten deutschen Auflage schon sehr störend und befremdlich.

Frank Schorneck

Gilbert Adair: Blindband(A Closed Book, 1999). Roman. Deutsch von Thomas Schlachter. C.H. Beck 2008. 338 Seiten. 18,90 Euro.