Verrisse sind oft nicht ganz fair. Manchmal sogar richtig unfair. So wie bei uns: Gunter Gerlach stößt sich an Büchern, die anderen gut gefallen – dabei hat er sie noch nicht einmal zu Ende gelesen …
Betrug mit Buch
Maja wedelt mit einer Zeitungsseite. „Hier steht, Peter Greenaway interessiert sich nur für Filme, die sich ihrer Künstlichkeit bewusst sind.“
Ich klemme den Zeigefinger zwischen Seite 26 und 27 von „Die Prinzen von Queens“. Ein Roman von Matt Burgess, der ein Enkel von Anthony Burgess sein möchte oder in Wirklichkeit vielleicht sogar ist.
„Das ist mir gerade aufgegangen“, fährt Maja fort. „Bei dir ist es ähnlich mit den Büchern. Du liebst nur Bücher, die sich ihrer Künstlichkeit bewusst sind.“
„Jedes Medium ist im Gegensatz zur Realität künstlich.“
„Moment, Herr Professor, ich schreibe mit.“
„Jeder Autor sollte sich dessen bewusst sein, ist es aber anscheinend nicht. Matt Burgess tut so, als wüsste er es nicht.“
„Du gibst auf? Bei welchem Satz ?“
Ich zitiere: „Das ist dein Drogendealer? Die kleine Käsefresse da auf der anderen Straßenseite? Mit den Händen in den verwichsten Taschen?“ Curtis zieht einen Gelben hoch und spuckt ihn auf den Gehweg, ganz knapp vor Alfredos Timberlandstiefel.“
Maja faltet die Zeitung zusammen und streckt die Hand nach dem Buch aus. „So reden die Leute.“
„Nein, eben nicht, sondern der Autor will seine Geschichte durch diese Sprache authentisch machen. Genau das ist: Er ist sich der Künstlichkeit des Mediums Buch nicht bewusst.“
„Eine authentische Geschichte ist doch was Positives.“
„Authentizität ist die Schwester der Realität. Und eine Medium kann keine Realität abbilden.“
Maja grunzt. „Du wieder mit deinen Prinzipien.“ Sie liest die Rückseite des Buches. „Aber das scheint doch eine spannende Geschichte zu sein.“
„Bis Seite 27 noch nicht. Ich hab die ganze Zeit das Gefühl, die Dialoge sind nur eingefügt, um Stimmung für vorgebliche Realität zu machen und nicht um die Handlung voranzutreiben. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.“
Maja schnaubt wie ein Pferd. „Mit einem Zitat von Goethe kann man alles kaputt machen.“
„Es ist wie mit den Büchern in der Slangsprache. Sie sind unlesbar. Erinnerst du dich an Richard Price und seinen Krimi ‚Cash‘? Grauenhaft. Nicht mal eine Seite habe ich geschafft.“
„Und Bukowski?“
„Der nutzt die anscheinend realistische Rede, um eine Pointe zu erzielen. Eine Kunstform.“
„Elmore Leonard?“
„Das sind Drehbücher, als Romane verkleidet.“
„Helge Schneider.“
„Der schreibt einfach, wie er seine Vorträge hält. Es ist eine Form der Naivität, aus denen die Komik entsteht. Als reiner Text fehlt aber die Komik, es sei denn, man hat seine Stimme, seine Vortragsweise im Ohr, lässt es sich also indirekt vorlesen.“
„Und Anthony Burgess?“
„Ha, das ist der Beweis, es geht nur, wenn man der Slangsprache ebenfalls Künstlichkeit verleiht, sie zum Kunstwerk macht, so wie in ‚A Clockwork Orange‘. Perfekt!“
Maja richtet sich im Sessel auf. „Und was ist mit seinem Roman ‚Der Doktor ist defekt‘. Es ist eins von deinen Bücher, aus denen immer noch ziemlich weit vorn eine Lesezeichen herausguckt.“
„Da hat Anthony Burgess noch geübt.“
Maja schlägt „Die Prinzen von Queens“ auf: „Aber dieser erste Satz ist doch toll.“
„Deshalb habe ich das Buch gekauft.“
„Mitten in Alfredo Batistas Hirn steht ein großer grauer Aktenschrank, der häufig geöffnet wird“, liest Maja vor.
„Die gesamte erste Seite des Textes hält leider nicht, was sie verspricht. Die Macher dieses Buches wussten genau, dass viele im Buchhandel die Geschichte kurz anlesen und aufgrund dessen ihre Kaufentscheidung fällen. Kaum blättert man um, ist auf der nächsten Seite oben alles von dieser verführerischen Atmosphäre vorbei. Ich nenne das Betrug. Betrug, wie die Dialoge. Wie der Preis.“
„Der Preis auch?“
„14,99 Euro! Ich bitte dich, neunundneunzig Cent! Seit wann ist dieser Ausdruck von Schnäppchenmentalität im Buchhandel üblich. Man will meiner Psyche vormachen, es wären nur 14 Euro, es sind aber 15!“
Gunter Gerlach
Matt Burgess: Die Prinzen von Queens (Dogfight, A Love Story, 2011). Roman. Deutsch von Johann Christoph Maass. Berlin: Suhrkamp 2012.390 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.