Geschrieben am 1. Februar 2014 von für Bücher, Crimemag

George V. Higgins: Die Freunde von Eddie Coyle

Layout 1Freunde & Kaliber

‒  Vor vierzehn Tagen hat Alf Mayer George V. Higgings einem Klassiker-Check auf Herz und Nieren unterzogen, heute schaut sich Roland Oßwald „Die Freunde von Eddie Coyle“ unter anderen Gesichtspunkten noch einmal genauer an. Daraus ergibt sich, dass CrimeMag diesen Relaunch sehr schätzt.

Mit „Die Freunde von Eddie Coyle“ bringt der Kunstmann Verlag einen zweiten Titel des Autors und früheren Anwalts George V. Higgins heraus. Es ist Higgins Debüt aus dem Jahr 1970. 1973 ist das Buch in Deutschland schon einmal unter dem absurden Titel „Hübscher Abend bis jetzt“ und 1989 als „Die Freunde …“ erschienen. Dass der Kunstmann Verlag vor dem nun neuaufgelegten Erstling im letzten September Higgins’ „Cogan’s Trade“ (Ich töte lieber sanft) von 1974 herausgebracht hat, könnte den Grund haben, dass 2012 „Cogan’s Trade“ als „Killing Them Softly“ mit Brad Pitt, James Gandolfini, Ray Liotta und einigen anderen verfilmt wurde. Im Übrigen schlecht verfilmt wurde, aber das ist in Hollywood ja nichts Besonderes. Und wenn schon von Hollywood die Rede ist, „The Friends of Eddie Coyle“ gibt es wiederum als nicht völlig vermurkste Verfilmung (1973) von Peter Yates mit Robert_Mitchum_Eddie_CoyleRobert Mitchum als Eddie.

Eddie Coyle ist ein nicht gerade heller Kleinkrimineller. Sein Spitzname lautet Eddie Fingers. Einmal hatte er eine heiße Waffe verkauft. Sein Abnehmer wurde von der Polizei überprüft und ist am Ende aufgrund der Knarre in den Bau gewandert. Für diese Schlamperei wurden Eddies Finger in eine Schublade gehalten und ein anderer trat dann gegen die Lade. Aber Eddie hat daraus nichts gelernt. Er macht so weiter wie gehabt. Er versucht, mit jedem ins Geschäft zu kommen. Mit dem Waffenhändler Jackie Brown, mit Dillon dem Barmann, mit Jimmy Scalisi, einem Mafioso, vor allem aber erzählt Eddie alles, was er so treibt, Dave Foley, einem Detective der Bostoner Poilzei.

Niemand legt wirklich Wert darauf mit Eddie zu tun zu haben, aber im Business kann man sich das eben nicht aussuchen. Eddie ist eine Ratte. Um einer anstehenden Gefängnisstrafe zu entgehen, hängt er jeden hin, über den er was zu erzählen hat. Und Eddie quatscht viel. Damit will er sich vor einer Verurteilung wegen Alkoholschmuggels drücken. Eine Rechnung, die niemals aufgehen kann, aber wie gesagt, der Hellste ist Eddie nicht. Im Grunde hat er sich schlicht für die falsche Branche entschieden. Wahrscheinlich wäre er besser als Vertreter gefahren. Das Ganze klingt ein wenig abstoßend. Eddie ist absolut keine Identifikationsfigur. Sein Denunziantentum widert an. Und von Beginn an ist klar, dass Eddie damit nicht durchkommen wird.

Freunde&Kaliber_Killing them softlyDialoge

„Die Freunde von Eddie Coyle“ ist ein Dialogroman. Grob geschätzt dürfte er aus siebzig Prozent Dialogen und dreißig Prozent Beschreibung bestehen. Bis Seite 160 ist dieses Verhältnis noch größer. Schön dabei ist, dass Higgins nie theatralisch wird. Das ist zum einen Talent (Dialogeschreiben schüttelt man nicht einfach so aus der Hand), und zum anderen hört Higgins täglich in seiner Arbeit wie Gangster sprechen. Erst als Staatsanwalt und später als Anwalt. Als Anwalt beweist Higgins im Übrigen großen Humor. Mal vertritt er den Watergate-Obertölpel (White House Plumber) Gordon Liddy, und dann den (evangelikalen) Black Panther Begründer Eldrige Cleaver. Higgins ermittelt viele Jahre bei den United States Attorneys gegen das Organisierte Verbrechen der Ostküste, bevor er „Die Freunde von Eddie Coyle“ schreibt. Bei Erscheinen wird das Buch in den USA groß gefeiert.

Für Elmore Leonard ist Higgins der Meister, von dem er alles gelernt hat. Reverenz erweist Leonard ihm in seinem Buch „Rum Punch“, in dem er den Namen Jackie Brown aufgreift. Für Norman Mailer schreibt Higgins die besten Dialoge. Und Scott Turow meint, dass Higgins in einem Atemzug mit Hammett und Chandler zu nennen sei. Von mir aus. Derartige Lobeshymnen von Kollegen wollen in der Regel hohe Verkaufszahlen fördern, und das ist auch richtig. Allerdings lässt sich von guter Presse nicht wirklich auf den Absatz rückschließen. Aber Marketingabteilungen brauchen genauso ihre Legitimierung im Betrieb wie Eddie Coyle.

George V. Higgins (© Jerry Bauer/Kunstmann Verlag)

George V. Higgins (© Jerry Bauer/Kunstmann Verlag)

… und Kaliber

Eine Anmerkung noch, da Higgins gerne von Waffenschiebern erzählt. Sie zielt weder auf den Kunstmann Verlag noch auf den Übersetzer Dirk van Gunsteren ab, sondern kann allgemein als gewünschter Luxus für Leser von Kriminalromanen verstanden werden. Das Kaliber ist ein Maß für den Durchmesser von Projektilen. Aber auch der Innendurchmesser des Laufs einer Waffe kann als Kaliber bezeichnet werden. Leider gibt es dort den Unterschied zwischen glattem Lauf und gezogenem Lauf, was zu Verwechslungen bei der Kaliberwahl führen kann. Darüber hinaus werden Patronen ähnlichen Kalibers unterschiedlich stark geladen, dass heißt die Patronenlänge variiert. Ein .38 Revolver zum Beispiel kann .357 Patronen abschießen.

Bitte nicht ausprobieren, denn der .38er Revolver könnte wegen der hohen Ladung beim Abschuss gesprengt werden. Umgekehrt ist das problemlos möglich. Und hier lauert das nächste Problem für die Autorin oder den Autor, sofern sie oder er die Ballistik nonchalant in den Text wirft. Trotz unterschiedlichen Kalibers können Patronen einen fast gleichen Geschossdurchmesser haben. Deshalb wird zum Beispiel in Büchern wie „Moderne Handfeuerwaffen – Band 1“Freunde&Kaliber_Moderne Handfeuerwaffen von Ian Hogg (Motorbuch Verlag) das Kaliber sagen wir beim Colt M 1911 A1 folgendermaßen angegeben: .45 ACP (11,43 mm X 23). Wie man sieht, kommt es noch verwirrender für die Macherinnen und Macher von Kriminalromanen. Im Englischen werden Kaliber in Inches und bei uns in Millimetern angegeben. Das heißt, man multipliziert den Dezimalbruch (Achtung: Im Englischen mit einem Punkt und nicht mit Komma nach der Null gekennzeichnet) mit 25,4 und erhält so den umgerechneten Wert in Millimetern.

Kaliberangabe in Inches werden einmal als Hundertstel Zoll, aber auch als Tausendstel Zoll ausgewiesen, somit hat im Beispiel oben die Patrone mit dem Kaliber .357 einen Durchmesser von 9,067 mm und die .38 einen Durchmesser von 9,652 mm. Zu tief in den Arsch will ich der Waffenindustrie hier allerdings nicht kriechen, es reicht festzuhalten, dass mit der Ballistik nicht zu Spaßen ist. Ich denke das Anliegen ist klar. Es besteht schon seit langem im Genre, und wohl nicht nur hierzulande, denn auch Jean-Patrick Manchette weist (ganz wunderbar und nicht so geschwätzig wie ich (muss am Higgins liegen)) in seinem Essay „Verrat auf Bestellung“ (1980) auf die ballistischen Hudeleien in den Bänden der Série Noire hin. Seine „Chroniques – Essays zum Roman noir“ gehören ohnehin auf den Schreibtisch von Liebhabern der Spannungsliteratur (seine Romane vielleicht nicht gleich auf den Schreibtisch, aber doch irgendwo ins Regal). Aber das nur am Rande …
Roland Oßwald

George V. Higgins: Die Freunde von Eddie Coyle (The Friends of Eddie Coyle, 1971). Roman. Deutsch von Dirk van Gunsteren.  München: Verlag Antje Kunstmann 2104. 190 Seiten. 14,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Jean-Patrick Manchette: Chroniques – Essays zum Roman noir, Distel Literatur Verlag 2005, 344 Seiten, 20,00 Euro . Verlagsinformationen zum Buch.
Higgins bei CulturMag.

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