Geschrieben am 14. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Georg Stefan Troller: Dichter und Bohemiens

Auf den Spuren der Boheme

„Der einzige, der wahre Souverän von Paris ist der Spaziergänger, der Flaneur“ – ganz nach dieser Devise von André Bazin erkundet Georg Stefan Troller in seinen literarischen Streifzügen die mythenreiche Stadt an der Seine und spürt vom Quartier Latin über den Montparnasse bis zum Montmartre den Dichtern und Bohemiens vergangener Tage nach.

Die Schlüsselfigur der Pariser Boheme war zweifellos Charles Baudelaire, der um 1850 den „Klub der Haschischjünger“ begründete, zu dem auch Balzac, Hugo oder Musset gehörten. In seinen Blumen des Bösen gab der ruhelose Dandy dem absinthgeschwängerten Lebensgefühl der Dekadenz exemplarischen Ausdruck und zeigte ein Paris, das ärmlich, düster und voller Geheimnisse war. Um die vorletzte Jahrhundertwende wurde dann das Quartier Latin zum Inbegriff der Boheme und zum Brutkasten der in die Welt ausstrahlenden modernen Kunst- und Literatur-Ismen. Ebenso wie auf dem Experimentierfeld Montmartre ging es hier um „Umbruch, Aufbruch, neuen Lebensstil“.

Legendär auch die Buchhandlung von Sylvia Beach in der Rue de lOdéon, die die Größen der europäischen Moderne zu ihren Stammkunden zählen durfte und mit unermüdlichem Einsatz den Ulysses von James Joyce verlegte. Paris war so auch immer eine Stadt, die magnetisch Künstler und Literaten aus der ganzen Welt und insbesondere aus Amerika anzog: Waren es in den 20ern und 30ern beispielsweise Henry Miller, Scott Fitzgerald oder Ernest Hemingway, so hielten in den 60ern im Relais-Hôtel in Saint Germain des Près die Beatniks ihre nächtelangen Jam-Sessions ab. Und etwa zur gleichen Zeit formierte sich im Café de Flore auch schon der europäische Existenzialismus um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.

Georg Stefan Troller, der als nach Paris emigrierter Filmemacher und Journalist viele Künstler und Literaten noch persönlich kennen gelernt hat, erzählt atmosphärisch dicht und in einem lockeren Boulevard-Ton. Seine Streifzüge durch Paris ergeben eine faszinierende internationale Literatur- und Kulturgeschichte und sind prall mit persönlichen Erinnerungen und Anekdoten gefüllt. Das in einer neuen Reihe von Artemis & Winkler erschienene Buch eignet sich dabei gleichermaßen zur Lektüre im heimischen Sessel als auch als spannender Wegweiser durch die geschichtsgeschwängerten Cafés, Passagen und Straßen von Paris.

Karsten Herrmann

Georg Stefan Troller: Dichter und Bohemiens. Literarische Streifzüge durch Paris. Artemis & Winkler 2003. Gebunden. 230 Seiten. 19,90 Euro. ISBN 3-538-07149-7