Geschrieben am 1. Februar 2012 von für Bücher, Litmag

Georg Kreisler: Wien, die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren bin

Wien-Wien-Situation

– In Wien musst du erst sterben, damit sie dich leben lassen. Gemocht zu werden ist nämlich ein Privileg, das nur toten Wienern zukommt! Und so gesehen wird Georg Kreisler, der am 22. November des Vorjahres starb, jetzt endlich den Erfolg haben, den er zeitlebens erstrebte. Andreas Pittler über seine Lebenserinnerungen „Wien, die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren bin“.

Der Wiener ist bekanntlich ein „Raunzer“, das heißt, selbst wenn objektiv alles zum Besten steht, findet er immer noch ein Haar in der Suppe. Seine Liebe zu Wien ergibt sich – wenn überhaupt – ex negativo, denn das größte Lob, das seiner Heimatstadt zu spenden er sich in der Lage sieht, läuft darauf hinaus, dass es andernorts möglicherweise noch schlimmer ist.

Wien sei eine Stadt, heißt es, in der man nicht leben, in der man aber auch nicht sterben könne. Und jedenfalls eine, in der man nicht einmal begraben sein will. Obwohl natürlich kein anderer Platz der Welt würdevollere, grandiosere und beeindruckendere Begräbnisse zu zelebrieren weiß als Wien. Nur, was dann? Ist der „Pomp funebre“ erst einmal über die Bühne gegangen, haben sich die Trauergäste beim Leichenschmaus genüsslich einen Rausch angetrunken und sich bis zur Unterkante der Futterluke vollgestopft, dann gehen die Trauergäste auseinander, und der Verschiedene liegt einfach nur da und fadisiert sich. Darin hat er freilich Übung, denn das war zu Lebzeiten auch nicht anders. Stets ist der Wiener verzweifelt auf der Suche nach einem „Remasuri“, hofft auf einen „Bahö“ und sieht sich um sein Vergnügen geprellt, wenn nicht wenigstens irgendwo in seiner Stadt ein Unfall, ein Brand oder zumindest eine Schlägerei stattgefunden hat.

Tingeln in den USA

„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“, heißt es beim Strauss-Schani, und der Wiener ist Weltmeister im Vergessen. Weder wird er sich je daran erinnern, was ihm Gutes widerfahren ist, noch vermag er sich darauf zu entsinnen, je einen Fehler begangen zu haben. Andererseits hat er ein Elefantengedächtnis, was jede noch so kleine Ungerechtigkeit anbelangt, die ihm vielleicht möglicherweise eventuell einmal widerfahren sein könnte. Und genau diese Grundeigenschaft schimmert auch bei Georg Kreislers Wien-Buch auf jeder einzelnen Seite deutlich durch. Kreisler, geboren 1922 in Wien, wurde durch die Machtübernahme der Nazis im März 1938 aus seiner Heimatstadt vertrieben. Seinem Vater, einem gut betuchten Rechtsanwalt, gelang es, mit seiner Familie in die USA zu entkommen, wo der Sohnemann schnell die Bekanntschaft prominenter Exilanten wie Arnold Schönberg, Hanns Eisler oder Friedrich Hollaender machte, von denen er mannigfach profitierte. Kreisler tauchte vollkommen in die neue Welt ein und beantragte 1943 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, die ihm auch prompt verliehen wurde.

Doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwiesen sich Kreislers künstlerische Fähigkeiten als allzu begrenzt. Sein Englisch, vorgetragen mit ähnlich grauenhaftem Akzent wie jenes von Arnold Schwarzenegger, stieß auf wenig Gegenliebe, und seine Songs à la „Shoot your Husband“ oder „My Psychiatrist is an Idiot“ fanden die Amerikaner nur mäßig lustig. Nach Jahren des Tingelns durch drittklassige Bars kehrte Kreisler 1955 nach Wien zurück.

Dort schloss er sich dem Kabarettistenduo Gerhard Bronner und Peter Wehle an und schrieb auch eigene Chansons, von denen „Tauben vergiften im Park“ das bekannteste werden sollte, wenngleich es den Schönheitsfehler hatte, dass Kreisler es ziemlich sicher von Tom Lehrer geklaut und als eigene Komposition ausgegeben hatte. Doch abermals blieb der Erfolg aus. Während Bronner und Wehle an der Seite von Helmut Qualtinger österreichische Kleinkunstgeschichte schrieben, wich Kreisler nach München aus, wo er mit seiner zweiten Ehefrau Topsy Küppers auftrat, die er am Klavier begleitete. Kreisler freilich blieb ein Unglücklicher und machte sich auf, ins Land der Ahnen zu emigrieren. Er kam nach wenigen Monaten desillusioniert aus Israel zurück und beschränkte sich, mittlerweile über 50, fürderhin darauf, verbittert zu sein. Und davon legt auch das vorliegende Buch ein beredtes Zeugnis ab.

Professioneller Raunzer am Werk

Der Verlag, der dieses Elaborat ein Vierteljahrhundert nach seinem erstmaligen Erscheinen neu aufgelegt hat, versucht diesen Grundzug Kreislers mit den Worten schönzureden „Georg Kreisler ist zu alt, um versöhnlich zu sein. Er ist ehrlich, das muss reichen“, doch als gelernter Wiener erkennt man sofort: Hier ist ein professioneller Raunzer am Werk, der sich selbst als verkanntes Genie wahrnimmt, frei nach dem Motto: „waun i kunntat wia i wollat.“.

Nun, Kreisler hatte genügend Gelegenheiten, sein Können unter Beweis zu stellen (USA, Österreich, Deutschland), allein, es hielt halt mit dem Wollen nicht mit. Eine der Geschichten im vorliegenden Buch handelt beispielsweise davon, dass die herrschenden Politiker in Österreich auf der Suche nach einem Sündenbock die Juden erneut aus Wien vertreiben wollen, womit sie allerdings auch gleich Wien dem Erebos überantworten. Doch ach, die Story ist nichts anderes als die Nacherzählung von Hugo Bettauers „Die Stadt ohne Juden“ von 1922. Mit dem Unterschied freilich, dass Bettauer eine vor allem ex post geniale Prophetie gelang, während Kreisler seine wenigen Seiten zu einem abgeschmackten Pasquinato gegen Kreisky und die SPÖ nutzt, die damals im Clinch mit Vertretern des orthodoxen Judentums lagen.

Die weiteren Geschichten des Buches transportieren Altbekanntes. Herablassende Kommentare über Österreichs Beamte, naserümpfende Glossen über Österreichs Politiker und sehr viel Ätzendes über Wien. Das alles freilich ist recht wohlgefällig geschrieben und wird bei vielen Lesern auf kumpanenhaftes Verständnis stoßen. Kreisler präsentiert sich auf diesen 224 Seiten als ein waschechter Wiener, der alles „ja schon immer gewusst hat“. Und doch beweist er gleichzeitig, dass er eben kein echter Wiener ist (bzw. mittlerweile war). Denn ein echter Wiener schimpft wie ein Rohrspatz über Wien und die (anderen) Wiener – aber gefälligst unter der Tuchent! So weit sind wir ja bitte noch nicht, dass wir Wiener unserer Wienerstadt zum Gaudium von irgendwelchen Gscherten („Nichtwienern“) eine Goschen anhängen.

Es ist historisch gewachsenes Recht eines jeden Wieners, sein Nest ausgiebig beschmutzen zu dürfen. Aber wehe, wenn er dann Dritte darauf aufmerksam macht! Hätte Kreisler dieses Urwiener Grundgesetz beizeiten beherzigt, so wäre sein Erfolg wohl nicht ausgeblieben. Aber dann hätte er vielleicht nicht so viele bitterböse Sequenzen schreiben können. Die aber sind letztlich auch nur ein Resultat von Kreislers mangelndem Wienertum. Als wirklich echter Wiener hätte er nämlich gewusst, dass es ohnehin keinen Sinn macht, von den Wienern gemocht werden zu wollen. Das ist nämlich ein Privileg, das nur toten Wienern zukommt! Und so gesehen wird Kreisler, der am 22. November des Vorjahres starb, jetzt endlich den Erfolg haben, den er zeitlebens erstrebte: In Wien musst du erst sterben, damit sie dich leben lassen. Aber dann lebst lang!

Somit steht zu hoffen, dass zu Kreislers erstem Todestag auch jene Werke neu aufgelegt werden, die weit besser sind als die vorliegende Zusammenstoppelung eilig hingeworfener Ver-Satzstücke. Denn dann wird man feststellen können, dass Kreisler eigentlich doch auch gar nicht so schlecht war. Was für Nichtwiener übersetzt heißt: dass er, wenn er sich nicht darauf konzentrierte, wehleidig darüber zu klagen, dass man andere ihm vorzog, ziemlich gut sein konnte.

Andreas Pittler

Georg Kreisler: Wien, die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren bin. Hamburg: Atrium-Verlag 2011. 224 Seiten. 19,90 Euro.

Remasuri = unterhaltsame Begebenheit
Bahö = Krawall
„waun i kunntat wia i wollat“ = wenn ich könnte, wie ich wollte
Tuchent = Bettdecke
Goschen anhängen = schlechte Nachrede

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