Geschrieben am 17. August 2011 von für Bücher, Litmag

Gary Shteyngart: Super Sad True Love Story

Blubbernder und schillernder Wortschaum

– Die einstige Weltmacht USA: pleite, der Dollar an die chinesische Währung gebunden, tief in ein auswärtiges Kriegsschlamassel verstrickt und von einer totalitären „Restaurations-Regierung“ beherrscht. So sieht das in Teilen vielleicht gar nicht einmal so ferne Zukunfts-Szenario in Gary Shteyngarts neuem Roman „Super Sad True Love Story“ aus, der einen wilden Mix aus „Brave New World“, „1984“ und „Clockwerk Orange“ bietet. Von Karsten Herrmann

Shteyngarts Protagonist ist der 39-jährige Lenny Abramow, Sohn russisch-jüdischer Zuwanderer und PR-Manager für „Lebensfreunde (Ebene G) in der Abteilung posthumane Dienstleistungen der Statling Wapachung Corporation“. Er verkauft seinen steinreichen Kunden das „ewige Leben“ in einer schönen neuen digitalen Welt mit gläsernen Menschen und dem allgegenwärtigen „Klickklack der Appärätewelt“.

Hier wird dem Kult der Jugend, der Gesundheit, des Konsums und des Geldes gefrönt und „Kreditmasten“ zeigen jederzeit die Finanzstärke der vorbeiströmenden Passanten an. Abramow ist einer der Letzten in dieser Zeit der „tiefen moralischen Ermattung“, die noch im wahrsten Sinne des Wortes anrüchige Bücher in ihrem Besitz haben und auch tatsächlich lesen – statt Texte nur zu scannen und nach verwertbaren Infos abzugreifen.

Gary Shteyngart

Gary Shteyngart

Die schöne neue Oberflächenwelt bekommt Risse

Gipfel des Anachronismus sind seine Tagebucheinträge, aus denen der Roman zu einem guten Teil besteht. Der andere Teil setzt sich aus  digitalen Postings und Kurznachrichten der blutjungen Eunice zusammen – einem abgebrühten Vorzeigeexemplar der neuen Generation und intimen Kennerin aller angesagten pornographischen Accessoires und Kultmarken. Ausgerechnet in sie verliebt sich Abramow unsterblich und nimmt sich vor, wie seine Kunden ebenfalls ewig leben zu wollen und eine „Dechronifizierung“ vornehmen zu lassen. Doch dann bekommt die schöne neue Oberflächenwelt tiefe Risse, soziale Unruhen brechen aus und Chaos und Zerstörung halten Einzug.

Nicht vielfältig, nur beliebig

Gary Shteyngart stellt in „Super Sad True Love Story“ erneut seine überschäumende Fantasie und seine schier unglaubliche Wortgewandtheit unter Beweis. Rasant verbindet er dabei Endzeit-Science-Fiction mit Trash, Romanze, Familiengeschichte und Sozialkritik. Was im positiven Falle als vielschichtig bezeichnet werden könnte, bleibt hier jedoch ein wahnwitziges Durch- und Nebeneinander, das sich spätestens nach der ersten Hälfte des fast 500-Seiten-Romans überreizt hat.

Zunehmend fragt sich der Leser, was dieser Roman eigentlich will: Witzig sein? Romantisch sein? Betroffen machen? Die Sinnfrage stellen? Eine Antwort auf diese Frage liefert Shteyngart nicht, dafür aber viele weitere Seiten beliebig blubbernden und bunt schillernden Wortschaums, der schnell wieder in sich zusammenfällt.

Karsten Herrmann

Gary Shteyngart: Super Sad True Love Story (Super Sad True LoveStory, 2010). Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Reinbek: Rowohlt Verlag 2011. 492 Seiten. 22,00 Euro. Zur Homepage des Buches geht’s hier, Shteyngart auf Facebook finden Sie hier und mehr zum Buch sowie eine Leseprobe hier. Foto: © by Brigitte Lacombe

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