Stille auf der Piazza
– Die Anthologie mit Texten jüngerer Schriftstellerinnen und Schriftstellern zeigt, dass trotz oder gerade wegen Berlusconi die Literaturszene in Italien blüht. Die neue Generation an Autoren in Italien schreibt sich frei von den alten Leitfiguren und dem politischen Niedergang des Landes. Man nimmt es mit Freude zur Kenntnis. Von Carl Wilhelm Macke
Einige Namen italienischer Schriftsteller kennt jeder – na ja, jeder, der sich für die Literatur aus dem Land interessiert, wo die Zitronen blühen und das Spaghetti-Wasser ständig kocht: Umberto Eco, Claudio Magris, Roberto Saviano, Andrea Camilleri, Antonio Tabucchi. Aber dann wird es auch schon dünner mit unserem Wissen über zeitgenössische italienische Literatur. Und die genannten Herren sind – mit Ausnahme von Roberto Saviano – auch alle schon gesetzten Alters. Und wen kennt man sonst noch, wenn von Italien die Rede ist? Berlusconi – aber der ist nun wirklich kein Schriftsteller. Bestenfalls ein drittklassiger Schlagersänger und ein erstklassiger Gauner. Oder Giovanni di Lorenzo. Der hat zwar einen wunderbar klingenden italienischen Namen und schreibt hin und wieder mäßig berauschende Leitartikel in der Zeit, aber die Gegenwartskultur des „Bel Paese“ repräsentiert er nicht gerade.
Es wird also höchste Zeit, dass man einige neuere Namen aus dem heutigen Italien kennenlernt, zum Beispiel von jungen Schriftstellern. Und welcher Verlag ist dazu besser geeignet als Wagenbach in Berlin, der jetzt schon seit Jahrzehnten auf die deutsche Edition italienischer Literatur spezialisiert ist? Zwei, drei Namen aus der dort nun erschienenen Anthologie „A casa nostra – junge italienische Literatur“ hat man auch bei uns vielleicht schon einmal gehört. Davide Longo etwa mit seinem (ebenfalls bei Wagenbach erschienenen) „Steingänger“. Oder Michaela Murgia, deren „Accabadora“ nicht nur bei italienischen Kritikern, sondern auch im deutschen Sprachraum eine hohe Anerkennung fand. Roberto Saviano ist in der Anthologie nicht vertreten, aber den muss man auch nicht mehr besonders vorstellen und seine Bücher im Grenzbereich zwischen Journalismus und Literatur sind sowieso auf dem deutschsprachigen Markt bestens (früher Hanser, jetzt Suhrkamp) vertreten.
Ansonsten aber ist dort noch eine ganz neue Generation von Autorinnen und Autoren zu entdecken, von denen in dem Band eine Auswahl vertreten ist. Es gäbe noch andere Namen zu nennen, aber immerhin wird hier schon mal ein Anfang gemacht. Sie alle sind in einem Italien aufgewachsen und langsam zu Schriftstellern herangereift, in dem der Kommunismus eine Ideologie der Großväter war und in dem der Konsumismus die Gesellschaft in nur wenigen Jahrzehnten radikal verändert hat. Berlusconi hat da nur vollendet, was schon ein Pier Paolo Pasolini in den fünfziger, sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts schmerzhaft erlitten hat.
Suchbewegungen in einer Welt ohne Orientierung
In fast allen hier versammelten Texten ist die Alltagskultur der vielen TV-Kanäle, der Mega-Supermärkte, der unentwegten Handy-Kommunikation immer anwesend. Nichts mehr ist da von den alten Klischees eines „Dolce far niente“, dass es süß sei, nichts zu tun. Die italienische Gegenwart lässt sich nicht mehr in Weichzeichnungen darstellen. Härter ist sie geworden, kälter, monotoner, nach außen verschlossener. „Auf der Straße war niemand, nur die Kälte. Wenige Autos. Vereiste Plätze … Alle sind immer drinnen. Drinnen gibt es Fitnessclubs und Zirkel und Häuser und Abendgesellschaften und Menschen, die sich unterhalten. Und die Autos schlafen in den Garagen“ (aus „Verissimo“ von Valeria Parrella).
Von dem neuen, sprachloser und hoffnungsloser gewordenen Italien ist in diesen Erzählungen oft die Rede. Aber auch von den neuen Suchbewegungen in einer Welt, die keine festen Orientierungen mehr bietet. Dass man in einer so unübersichtlich gewordenen Gesellschaft wie der des heutigen Italien in der Literatur einen Halt sucht, ist aber kein schlechtes Zeichen. Für die Konsumkultur und den „Berlusconismus“ jedenfalls ist diese neue Literaturgeneration rettungslos verloren. Man nimmt es mit Freude zur Kenntnis.
Carl Wilhelm Macke
Paola Gallo/Dalia Oggero (Hg.): A casa nostra – junge italienische Literatur. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 2011. 207 Seiten. 16,90 Euro.