Geschrieben am 24. April 2013 von für Bücher, Litmag

Gabriele Kögl: Auf Fett Sieben

Gabriele Kögl_ auf fett siebenImmer schön cremig bleiben

– „Auf Fett Sieben“, der vierte Roman der österreichischen Schriftstellerin Gabriele Kögl, stellt die Verhältnisse provokant auf den Kopf: Eine hippe Elterngeneration gibt ihrem Nachwuchs den Rest und nicht andersherum – wie sonst oft. Von Senta Wagner

Vornamen sind bekanntermaßen mehr als bloß Vornamen. Soziologen haben das längst durchschaut. Gebildete Schichten haben es zum Beispiel mit der griechischen Mythologie, und so hat es auch die adoleszente Icherzählerin des Romans schlimm erwischt: Sie heißt Iphigenie Elektra Persephone, für ihre Freunde kurz Phigie. Glücklicherweise ist allgemein ein Trend hin zu dezenteren Namen zu beobachten.

Mit dem Namen nicht genug. Phigie ist eine ebenso toughe wie verletzliche sechzehnjährige Schülerin, die ihren Alltag ausbalancieren muss zwischen zwei ganz speziellen Eltern („Ellis“, „Erzeugerfraktion“, „Supporter“). Vor ein paar Jahren geschieden, sind beide hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Phigie hat ein Dach über dem Kopf, was zum Essen, der Rest ist, grob gesagt, laisser faire. Am besten kommt keiner dabei dem anderen in die Quere. Man ist sich zugleich vertraut und fremd. Die Trennung bedeutet zudem eine ständige Pendelei zwischen der Altbauwohnung („Streberburg“) der Mutter und der Dachterrassenwohnung des Vaters, dorthin, wo es eben gerade aushaltbarer ist. Zwischen diesen beiden Polen im Verbund mit Schul- und Partyszenen ist die Geschichte im Wesentlichen strukturell angesiedelt. Das wäre fast nichts, wenn da nicht diese Sprache wäre, die die Verschriftlichung einer kunstvoll fabrizierten Mündlichkeit ist. Kögl hat einen frechen, hochtourigen Phigie-Sound kreiert, der Elemente der Jugendsprache samt ihrer Funktion von Distanznahme und Identifikation aufnimmt, sich aber auch darüber hinausgehend wortneuschöpferisch austobt. Das klingt, und ist es doch nicht, wie nach einem fremdsprachlichen Text, der eine weitere Wirkung bezieht aus Dichte und Tempo – das muss man aushalten.

Kratzenliebe

Der Vater, ein Ex-Unternehmensberater, ist als Computerjunkie („Tastenhengst“) ganz Zeitgenosse. Gemeinsames Kiffen mit der Tochter gehört zum guten Ton, nach dem Motto: lieber kiffen als koksen. Die Mutter, Germanistin, arbeitet als Kulturkritikerin und steckt hinter eingestaubten Bücherbergen. Zum Entsetzen von Phigie liest sie „Youngster-Bücher“, literarische Quickverweise auf Hennig von Lange, Roche und Co., und kleidet sich wie eine Fünfzehnjährige mit der entsprechenden Egalhaltung. Für Phigie ein absolutes No go: „Mensch, sei doch eine brave Macchiato-Mama …“ Allein die schlechten Deutschnoten von Phigie bringen sie aus der Fassung. Kurzum, Phigie sind ihre Eltern total peinlich. Sie versinken in ihrem gelebten Chaos, kriegen ihren Haushalt nicht auf die Reihe und driften zusehends ab. Überhaupt ist es mit dem Vater ein bodenloser Witz, Phigie vollkommen überfordert: „… ich dachte, scheiße, dein Vater ist eine Transe, … Das musste ich echt verdauen. … Ich meine, was tut man mit so einem Oldie?“ Die autoerotischen Gebaren des Vaters via Internet nehmen überhand, sein Ende ist jämmerlich. Parallel dazu kämpft Phigie mit ihrem ersten nicht virtuellen Liebeskummer. Es liegen Welten zwischen den Lebenswelten. Allein dies hier ist ein Beispiel für die distanzierend-expressive Funktion von Phigies Sprache, die sie noch in ihrer ärgsten Betroffenheit souverän rüberkommen lässt.

Trost gibt es, weil es Heidi gibt. „Ich kannte niemanden, der sich so galaktisch freuen konnte, wenn ich auftauchte. Heidi fand es richtig steil, dass ich lebte.“ Heidi ist Phigies köstliche „Kratze“, aber auch das Schmusespielzeug der Mutter. Heidi wandert wie ein Pokal zwischen den Wohnungen mit hin und her. An ihr ist schließlich auch der Grad der Vernachlässigung am deutlichsten abzulesen, wenn die Eltern mal wieder das Füttern vergessen haben, weil wegen, ja warum nur?

Gabriele Kögl

Oke ist oke

Sonst ist Phigie so normal wie andere Jugendliche ihres Alters auch. Auf die Schule („Büffelbude“, „Bildungsverhinderungsanstalt“) pfeifen, ausgehen, shoppen, „grasen“, der erste Kuss („Speicheltanz“, „Aalcatchen“) und das erste Mal. Für alles holt man sich Anregungen aus dem Internet, wo etwa Facebook, Chatrooms und Pornoseiten eine wesentliche Rolle spielen, und gerade das Abseitige dabei ist zum Ablachen gut. Denn tatsächlich bewegen sich die Jugendlichen in komplexen Sphären, in denen sie sich unter Umständen noch weit weniger auskennen als die Erwachsenen. Gegen den Hang zur Virtualität, den Phigie ihren Eltern vorwirft, kann sie sich gerade noch auflehnen: „ … die Einzige in der Familie, die noch Menschen brauchte, war ich.“

Ausgebremst wird der Roman in einer der anrührendsten Passagen, was sich auch in einer sprachlichen Besänftigung niederschlägt: Vater und Tochter auf Besuch bei der Oma. Hier finden sich die einzigen erzählerischen Rückblenden in Phigies Kindheit, die bei der Oma auf besondere Weise behütet war. Für den Vater ist der Trip eine Pflichterfüllung und offenbart einmal mehr das Verschwiegene hinter dem Gerede, den verheimlichten Selbstmord des Großvaters. Nicht nur an dieser Stelle des Romans durchlebt Phigie Momente der Angst, die sie mit einer Schutzvokabel benennt. „Angster“ hat zwar den gleichen Wortstamm wie Angst, bedeutet aber für den Leser schlicht gar nichts, für Phigie eine ganze Gefühlswelt.

Sprachliches Rätselraten

Inspiriert worden sei Kögl zu ihrem Roman von dem Wörterbuch der Jugendsprache, das sie ihrer Tochter geschenkt habe. Der Wortschatz, entlehnt wie selbst erfunden, zeichnet sich durch eine plastische Bildlichkeit (s.o.) und hohe Anpassungsfähigkeit an Realien aus der Teenagerwelt aus –lustiges Rätselraten inklusive, es geht auch ohne Glossar. Stilistisch im Einsatz sind etwa Übertreibungen, Euphemismen und Ironie. Wort- („augenorgasmen“) wie inhaltliche Wiederholungen fallen da natürlich umso mehr auf. Andererseits wenn cool „gool“ geschrieben wird, Phigies okey ein „oke“ und die Katze eine „Kratze“ ist, sollte das auch über den Text halten. Die Grammatik ist intakt, in der Syntax herrscht Ökonomie: Hilfsverben, Vollverben und Partizipien am Satzende fehlen, hier und da Adjektive, Ausfall von Endungen (hatt/e). Da muss manches aus dem Kontext erschlossen werden: „Ein Weltwunder, dass er mich überhaupt und dann auch noch um die Zeit (anrief)?“ Aufgrund der fehlenden Konsistenz im Text, kann kein wirkliches Bauprinzip erkannt werden. Insgesamt liegt in der genauen sprachlichen Durcharbeitung des Romans auch seine größte Herausforderung, nämlich sich nicht zu übernehmen und ins Karikatureske zu kippen. Es passiert.

Ob die (welche?) Jugend tatsächlich so spricht, ist dabei überhaupt nicht von Interesse. Gabriele Kögl nimmt bedenkliche Verhältnisse des Nichtverstehens generationenübergreifend in den Blick und bringt diese mit Phigies Geblubber vortrefflich auf den Punkt. Das nimmt unwahrscheinlich für den Roman ein.

Senta Wagner

Gabriele Kögl: Auf Fett Sieben. Wallstein Verlag 2013. 191 Seiten. 17.90 Euro. Bild: Dontworry, Creative Commons, Quelle.

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