Geschrieben am 20. Februar 2004 von für Bücher, Litmag, Rubriken

Frédéric Beigbeder: Ferien im Koma

Party, Party, Party

„Ferien im Koma“, Frédéric Beigbeders Versuch, mit der Schilderung einer Nacht in Paris an große Vorbilder anzuknüpfen, wäre auch dann gescheitert, wenn man die Messlatte weiter unten anlegt als er selbst. Ein Sittengemälde des zu Ende gehenden Jahrtausends sollte es werden – ein zweiter „Gatsby“ oder „Ulysses“ – und ist doch nur ein zerstückelter Patchwork-Roman über die Crème de la Crème der Pariser Szene.

Eine Nacht in Paris. Von sieben Uhr Abends bis sieben Uhr morgens. Klischee oder Traum? Romantisches Rendezvous oder Jet-Set-Party? Von Baudelaire bis Hemingway, von Toulouse-Lautrec bis Baz Luhrmann. Die französische Hauptstadt hat viele Dichter, Künstler und Regisseure inspiriert. Nicht alle waren ihr gewachsen.

„Ferien im Koma“, Frédéric Beigbeders Versuch, mit der Schilderung einer Nacht in Paris an große Vorbilder anzuknüpfen, wäre auch dann gescheitert, wenn man die Messlatte weiter unten anlegt als er selbst. Ein Sittengemälde des zu Ende gehenden Jahrtausends sollte es werden – ein zweiter „Gatsby“ oder „Ulysses“ – und ist doch nur ein zerstückelter Patchwork-Roman über die Crème de la Crème der Pariser Szene, in dem Beigbeder weder seinen Rhythmus findet, noch sein Talent für griffige Sätze und prägnante Slogans ausspielt. Da hilft auch nicht, dass er im Vorwort selbstkokettierend behauptet: „Ferien im Koma ist ein missglücktes Buch. Unglücklicherweise ist es aber auch mein bestes Buch.“ Stimmt und stimmt nicht: missglückt ja, sein bestes nein!

19 Uhr. Marc Marronnier bekommt die Einladung zur Eröffnungsgala eines neuen Nachtclubs: „Das Klo“, die größte Disko von Paris, die sich in Form einer gigantischen Toilettenarchitektur auf der Place de la Madeleine erhebt. Ein Muss für einen Gesellschaftskolumnisten wie Marc. Außerdem werden „eine Menge Sahneschnittchen dabei sein“. Ergo: „Marc Marronnier wird an diesem Abend Geschlechtsverkehr haben, was auch geschehen möge.“

20 Uhr. Marcs Freund, der Weltklasse-DJ Joss Dumoulin begrüßt seine Gäste. Ohne Zweifel, er ist die zentrale Gestalt des Abends: „In einer so künstlichen, hedonistischen Gesellschaft wie der unseren interessiert sich die ganzen Welt nur für eins: Partys. (Sex und Geld sind darin enthalten: Wer Geld hat, kann feiern, wer feiert, hat Sex.) Und die Diskjockeys haben das Fest völlig unter ihrer Kontrolle. Tagsüber beherrschen sie die Top 50, nachts die Clubs.“

21 Uhr. Die Gäste nehmen Platz. „Alles trieft vor Geld. Aber niemand gibt damit an. Alle Plutokraten wollen als Künstler gelten. Man muss schon Modefotograf oder Fernsehproduzent oder an den letzten Seiten seines Romans sein. Nichts ist hier blöder, als nicht an etwas zu arbeiten.“

22 Uhr. Marc plaudert mit seinen Tischnachbarn. 23 Uhr. Die Tanzfläche wird eröffnet. 24 Uhr. Marc bekommt Depressionen, weil seine arroganten Flirtversuche scheitern. Was will uns dieser Schnösel? Das fragen sich die genervten Frauen, und das fragt sich auch der mehr und mehr gelangweilte Leser. Auch wenn später Aufregenderes passiert – etwa weil die Partygesellschaft das Baustellengerüste der Église de la Madeleine stürmt und drogenberauscht über den Dächern von Paris über Zukunftschancen streitet – wirken alle von Beigbeder zum Besten gegebenen Anekdoten zu gewollt. Als ob hier ein von der Midlife-Crisis gebeutelter Mann junge Mädchen mit kultigen Geschichten über seine Jugend beeindrucken will. 2 Uhr, 3 Uhr, 4 Uhr,… so geht das weiter, bis Marc irgendwann von seiner romantischen Liebe erlöst wird.

Beigbeders Texte haben allesamt das selbe Problem: Sie sind ein Sammelsurium aus Versatzstücken, in denen mehr behauptet, aufgelistet und zusammengezimmert wird, statt erzählt und beschrieben. Zusammengehalten werden sie einzig durch die Tatsache, dass der Autor in seinem Leben Vergleichbares erlebt hat. So wird Beigbeder die mangelnde Distanz zu seinen immergleichen Helden – ob sie nun Octave Parango (wie in „39,90“) oder Marc Marronnier (wie in seinen ersten 3 in Frankreich erschienen Romanen) heißen – zum Hemmschuh seiner Kreativität. Seine Texte sind nicht viel mehr als bloße Illustrationen eines mehr oder minder interessanten Lebens. Unterhaltsam können sie wie „39,90“ trotzdem sein, aber leider auch zermürbend uninteressant wie „Ferien im Koma“.

Textauszug:

Marc wusste gleich, dass das Fest ein Erfolg würde, als er sah, wie viele Frauen sich auf der Toilette den Lippenstift nachzogen oder sich das Näschen mit Koks puderten (wobei beides natürlich auf dasselbe hinausläuft: Kokain ist Schminke fürs Hirn). Auf einem Post-it notiert er: „Das 21. Jahrhundert wird in den Damentoiletten sein, oder es wird nicht sein.“

Markus Kuhn


Frédéric Beigbeder: Ferien im Koma. Roman. Rowohlt, 159 Seiten, 12 ¤. ISBN: 3-499-23191-3