Geschrieben am 2. Februar 2011 von für Bücher, Litmag

Frank Schulz: Mehr Liebe

Schulz hat den Blues

– Mit der Hagener Trilogie hat der 1957 bei Stade geborene Hamburger Autor Frank Schulz ein Meisterwerk der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur geschaffen. Wie kaum ein anderer vermag er gesprochene Sprache in all ihren regionalen und emotionalen Nuancen in Lettern zu gießen, tiefgründigen Witz mit menschlicher Tragik zu verknüpfen und hunderte von Seiten ohne Längen zu füllen. Von Frank Schorneck

Als die 1991 mit „Kolks blonde Bräute“ begonnene Trilogie 2006 mit „Das Ouzo-Orakel“ ihr Ende fand, stellte sich die Frage, wie Schulz an dieses furiose Großwerk anschließen könnte. Mit dem Gedichtband „Naturlyrik, Anfängerkurs“ dürfte er die Erwartungen so ziemlich all seiner Leser unterlaufen haben. Die Verse auf den Spuren von Erhardt und Gernhardt, mit deutlicher Schlagseite zum Kalauer, wurden vom Feuilleton (sicherlich nicht ganz zu Unrecht) kaum wahrgenommen. Schulz hingegen dürften diese lyrischen Fingerübungen von dem Druck befreit haben, seinem Opus Magnum einen würdigen Nachfolger zu verschaffen.

In „Mehr Liebe“ nun stellt er eindrucksvoll unter Beweis, dass er sich die deutsche Sprache auch in der kurzen Form ganz nach Belieben gefügig machen kann. Der Titel ist einem Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach entlehnt: „Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen.“ Vor rund zehn Jahren stieß Schulz auf diesen Sinnspruch und er begann, Texte zu schreiben, die von dieser Klammer zusammengehalten werden. Ganz so trübe deutet Schulz den Aphorismus allerdings in letzter Konsequenz nicht. Unter den zahlreichen Verlierertypen in den 22 Episoden findet sich so mancher, der auf jeden Fall mehr Liebe verdiente, als er letztlich erhält.

Das Lächeln der BackBord-Verkäuferin

Foto: Hans Saalfeld

Mit einer Alltagsbeobachtung stimmt Schulz sich und die Leser ein auf einen Reigen aus Hoffnung und Enttäuschung, auf den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit: In „Seele mit Käse“ geht es um nicht mehr – und nicht weniger – als einer BackBord-Verkäuferin ein Lächeln zu entlocken. Ganz unspektakulär und leise ist dieser Einstieg in den Erzählband, doch schon auf diesen vier Seiten finden sich die Motive des verpassten Einsatzes, der unerwiderten oder gar unbemerkten Schwärmerei, der Resignation, die in den folgenden Geschichten immer wiederkehren werden. In der darauf folgenden Geschichte begleitet Schulz eine liebevoll Dörchen genannte ältere Frau auf die Reeperbahn. Ein verräterisches Zündholzbriefchen in der Sakkotasche ihres Mannes führt Dörchen auf diese Exkursion, die sie zu den Wurzeln ihrer langjährigen Ehe und Liebe bringen wird.

Hörprobe: Seele mit Käse: Peter Kurzeck erzählt

In einer über das Buch verteilten Trilogie der Gewalt zeigt sich Schulz von einer ganz unerwarteten Seite. Ohne humoristischen Bruch und schnörkellos zieht die Gewalt in den Alltag ein. Während die Eskalation an einer Bushaltestelle („Hopfen“) unangenehm an jüngst zurückliegende U- und S-Bahn-Schlägereien angelehnt ist und etwas zu tief in die Klischee-Kiste greift, weiß der dritte Teil der Trilogie, „Krebs“, auf gänsehauterzeugende Art mitzureißen. Auf diesen drei Seiten stellt Schulz unter Beweis, dass er sehr bitter und humorlos zu Werke gehen kann.

Eine andere Reihe, das „Pop-Tetrameron“, geht auf musikalische Spurensuche bei persönlichen Hits früherer Zeiten – von J. Bastós über Hot Chocolate und die Doors bis zu Led Zeppelin und verknüpft diese mit Schlüsselszenen im Leben und wichtigen Fragen : „WIESO HEISST’N DAS STÜCK EINGLICH BLACK DOG?! DA KOMMT ÜBERHAUPT KEIN SCHWARZER HUND DRIN VOR: IM GANZEN TEXT NICH!“

Freunde des bisherigen Schulzschen Schaffens hingegen dürften sich freuen, in mehreren Geschichten ins griechische Kouphala zurückzukehren, den Schauplatz des Ouzo-Orakels – zum Beispiel mit Katja, die ausgerechnet auf ihrer Hochzeitsreise ihren Traummann trifft.

Und wenn dann Bodo Morten und Co. als pubertierende Fußballfans bei der WM 1970 mitfiebern und von Karin Kolk – ja, DER Karin Kolk! – eindrucksvoll demonstriert bekommen, dass es Schöneres als Fußball gibt, ist man wieder voll und ganz angekommen im Kosmos von Kolks blonden Bräuten.

Sehn- und Eifersüchte als Klammer

Frank Schulz zeigt sich in seinen Erzählungen so ungeheuer facettenreich, dass es manchen Rezensenten überrumpelt hat, der nicht rechtzeitig die Schublade schließen konnte, in der Schulz bereits als Garant für alkoholgeschwängerte Hochkomik abgelegt war. Getrunken wird nur in wenigen der Geschichten; viel mehr als der Alkohol sind es Sehn- und Eifersüchte, die eine Klammer bilden. Melancholie ist eine vorherrschende Stimmung, Alter und Tod sind ständige Begleiter – ob in „Schmetterlinge des Schreckens“, wo der Journalist Büttner die Mimik und Gestik der von ihm angehimmelten Nicole Kidman zu deuten weiß, auf die Körpersprache realer Partnerinnen jedoch verständnislos reagiert. Oder „Okay Blues“, die Story, in der ein Physiotherapeut zu einem Seminar reist, das erst kurz vor seiner Ankunft dort abgesagt wird. Sein freies Wochenende in Hamburg wird ihm einige Wahrheiten eröffnen: „Okay, in letzter Zeit hatte er oft das Gefühl, derlei junge Dinger redeten lauter mit ihm als früher …“ – oder, um es mit Robert Plant zu sagen: „IT’S BEEN A LONG TIME SINCE I ROCK AND ROLLED …“

Frank Schorneck

Frank Schulz: Mehr Liebe. Berlin: Galiani Verlag 2010. 292 Seiten. 19,95 Euro. Zur Homepage von Frank Schulz.

Tags :