Geschrieben am 18. Februar 2008 von für Bücher, Litmag

Frank Goosen: So viel Zeit

Der Berg des Donners

Frank Goosen tritt mit seiner Coming-of-age-Geschichte den Beweis an, dass Erwachsenwerden auch jenseits der 40 noch wehtun kann. Von Petra Vesper

Konni, Bulle und Rainer sind Freunde seit der Schulzeit, 1982 haben sie ihr Abi gemacht. Gemeinsam mit ihrem drei Jahre jüngeren Kumpel Thomas, dem vierten im Bunde, treffen sie sich allwöchentlich zur Doppelkopfrunde. Was sie eint, das ist vor allem die gemeinsame Vergangenheit – die Gegenwart dagegen sieht eher grau aus. Damals, vor 25 Jahren, waren sie davon überzeugt, unsterblich zu sein. Heute wissen sie, dass das Leben manchmal viel grausamer sein kann als der Tod – alle vier stecken tief im Sumpf der Alltagstristesse fest: Konni ist Lehrer für Biologie und katholische Religion und gerade von seiner Freundin verlassen worden. Jetzt sitzt er allein auf der Baustelle ihres gemeinsamen „Anbaus“. Bulle ist o­nkologe und hat den Krebstod seiner Frau nicht verhindern können. Jetzt ist er allein erziehender Vater pubertierender Zwillingstöchter. Rainer ist Anwalt, Eigenheimbesitzer, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Dass es in seiner Ehe aufgrund der ständigen Eifersucht und Planungswut seiner Frau schon länger kriselt, wissen seine Freunde. Dass er seit einiger Zeit Blut im Stuhl hat, verheimlicht er ihnen lieber. Und Thomas ist Schriftsteller, doch seine letzten Erfolge liegen schon eine ganze Weile zurück. Sein Geld verdient er inzwischen mit dem Betexten von Pornobildchen.

Vier Männer jenseits der 40 und mittendrin in der Midlife-Crisis – bis einer von ihnen die Idee hat: Sie gründen eine Band. Keinen gemächlichen Altherren-Blues wollen sie spielen, sondern das Zeug, das sie früher schon gehört haben: 70er-Jahre-Hardrock, Männermusik – Deep Purple, Led Zeppelin, AC/DC. Testosteron pur, der ewig junge Traum von Sex, Drugs & Rock’n’roll. Als erster Auftritt bietet sich das bevorstehende 25-jährige Abitreffen geradezu an. Was sich zunächst wie eine Schnapsidee anhört, lässt keinen mehr los. Die Flucht in die Vergangenheit scheint die Erlösung von der Gegenwart zu sein.

„Musik ist nicht dazu da, die Welt zu retten. Musik ist dazu da, dir das Leben zu retten.“ Dieses Zitat des Musikjournalisten und Schriftstellers Tony Parsons ist Frank Goosens neuem Roman So viel Zeit vorangestellt und auf den folgenden knapp 350 Seiten macht sich der Bochumer Autor daran, den Beweis dieser These anzutreten.

„Mountain of Thunder“ proben sich die Finger wund, aber irgendetwas fehlt bzw. einer fehlt: Ole. Früher war er der coolste Typ der Stufe und gehörte zur Clique, doch dann haben sie ihn aus den Augen verloren. Mit Ole würden sie zu fünft sein, denn die Fünf war die magische Zahl, um die Welt aus den Angeln zu heben. Also machen sich Bulle, Rainer, Thomas und Konni kurzerhand auf die Suche nach Ole, entdecken ihn in einer versifften Berliner Wohnung, und zwar in denselben Klamotten wie damals. Ole ist so etwas wie das tragische Zentrum des Romans: Der coole Typ von einst, der seitdem nichts mehr auf die Reihe bekommen hat. Ole trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum, das erst am Ende des Romans gelüftet wird und diesem durchaus spannende Momente verleiht.

„Die Grundidee war eigentlich, dass ich eine Kurzgeschichte über eine uncoole Rockband schreiben wollte: Die Musiker stehen im Probenraum und keiner will singen“, erklärte Frank Goosen. Daraus wurde dann dieser Roman über Männer älter als 40, die ausgerechnet eine Hardrock-Band gründen. Deep Purples „Child in Time“, „Highway to Hell“ von AC/DC, Black Sabbaths „Paranoid“ oder „Enter Sandman“ von Metallica – die Stücke, die sich die Altherren-Band im Roman schließlich aneignet, gehören zu den Klassikern des Genres. Allen Freunden von Musik der härteren Gangart werden dabei die Ohren klingeln. Nur konsequent war es da, dass pünktlich zum Erscheinen des Romans bei iTunes eine Playlist von Frank Goosen mit dem „Soundtrack zum Buch“ ins Netz gestellt wurde. Ein Stück allerdings wird man auch dort vergebens suchen: Jene akustische Variante von Queens „We will rock you“, die beim Finale des Romans eine zentrale Rolle spielt und die Frank Goosen mit so großer Suggestionskraft beschreibt, dass sich beim Lesen die Nackenhärchen aufstellen.

Frank Goosens neuer Roman ist nicht nur ein Roman für Männer in der Midlife-Crisis. Vor allem dank ihrer pointierten Zeichnung, die nicht frei von männlicher Selbstironie ist, wachsen Goosens Protagonisten auch seiner weiblichen Leserschaft schnell ans Herz. Mit So viel Zeit ist ihm ein Roman gelungen, in dem im wahrsten Sinne des Wortes Musik steckt. Und dennoch bietet er mehr als einen nostalgischen Blick zurück in die Zeit der besseren Musik – es ist eine Coming-of-age-Geschichte, die den Beweis antritt, dass das Erwachsenwerden auch jenseits der 40 noch wehtun kann.

Petra Vesper

Frank Goosen: So viel Zeit. Eichborn 2007. 349 Seiten. 19,95 Euro.