Geschrieben am 3. Dezember 2005 von für Bücher, Litmag

Frank Goosen: Pink Moon

Schluss mit lustig!

Von seiner Pole-Position als Ex-Tresenleser und fernseherfahrener Kabarettist legte Frank Goosen einen Bilderbuchstart als Autor hin. Doch bei allem Erfolg ist nicht zu verleugnen, dass sein Erstling „Liegen lernen“ zu großen Teilen auf Bühnennummern Goosens zurückgreift und der Nachfolger „Pokorny lacht“ mit einem Komiker als Protagonisten starke Bezüge zum Leben des Autors selbst aufweist. Nachdem eine Sammlung von Kolumnen und Kurztexten im vergangenen Jahr die Wartezeit verkürzen konnte, liegt nun der dritte Roman Goosens vor – und der ist beeindruckend geraten.

„Ich sah meinen Vater erstmals neunzehn Jahre nach seinem Tod.“ Schon der erste Satz deutet das Geflecht an (Lebens-)Lügen an, das sich auf den kommenden fast 300 Seiten ausdehnen wird. Felix heißt der Ich-Erzähler des Romans, doch er ist weit entfernt davon, wirklich als der „Glückliche“ bezeichnet werden zu können. Oberflächlich läuft alles bestens: Felix ist Geschäftsführer eines gut gehenden Lokals namens Pink Moon und mit der Fotografin Evelyn, die Werbefotos des Lokals anfertigt, könnte sich vielleicht etwas Ernstes anbahnen. Doch die Vergangenheit macht Felix einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Das Auftauchen seines von der Mutter für tot erklärten Vaters ist dabei nur eine kleine Ecke des großen Lebenspuzzles, für das Goosen seinen Lesern nach und nach die Teile anreicht. Anders als in seinen ersten Romanen wagt der Autor hier Leerstellen, ermöglicht seinen Lesern mehrere Lesarten.

Großes Lebenspuzzle
„Pink Moon“ ist voll von gescheiterten Existenzen, Menschen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Hinter gutbürgerlichen Fassaden tun sich menschliche Abgründe auf – und nach und nach wird deutlich, dass Felix, der die Verrückten nur so anzuziehen scheint, selbst mehr als nur einen kleinen Knacks hat.
„Pink Moon“ ist ein äußerst vielschichtiger und in die Tiefe gehender Roman – allein die Episoden, in denen sich Goosen seinen Nebenfiguren nähert, böten Stoff für weitere Romane. Da ist „der Flieger“, ein offenbar geistig zurückgebliebener Jugendlicher, der in Felix’ Kindheit auftaucht und nach Intervention der Mutter plötzlich wieder verschwindet. Da ist Renz, ein Sonderling, den Felix zum Nachbarn hat und dessen Erscheinung ebenso verstört wie verstörend ist. Und da ist Felix’ mysteriöser Vater, von dem er nicht mehr kennt als ein Foto, aufgenommen in den Straßen des Prager Frühlings. Ein guter Tänzer sei er gewesen, der Otto Simanek, schwärmt die Mutter, und es wird kein Zufall sein, dass dies der Name des Pan Tau-Darstellers ist – Verbeugung des Autors vor einem Helden der eigenen Jugend oder bereits Teil der Lebenslüge der Mutter?

Meister der Andeutung
Vor allem aber erweist sich Goosen in seinem neuen Roman als ein Meister der Andeutung, als ein Stichwortgeber für die Phantasie des Lesers. Nie wird explizit ausgesprochen, was hinter der gutbürgerlichen Fassade der Unternehmervilla „Burg Bludau“ vor sich geht, doch die Hinweise reichen aus, um die wildesten Szenarien zu entwickeln. Gibt es wohl einen Zusammenhang zwischen der überraschend schweren „Spielzeugpistole“ in der Tasche eines Verehrers der Mutter und dem RAF-Terror? Und wenn Felix die Tochter eines Freundes in den Schlaf singt und diese ihn bittet „Sag doch dem Papa, ich schlafe schon, dann muss er nicht mehr kommen“, beschleicht den Leser ein ganz ungutes Gefühl …

Mit diesem Buch beweist der Autor, dass er auch literarisch ein Schwergewicht ist. Doch bei aller Ernsthaftigkeit muss niemand auf den typischen Goosen-Humor verzichten: Haarspaltende Dialoge und liebenswert-skurrile Charaktere sind auch hier wieder Markenzeichen. Selbstverständlich hat Goosen auch zu seinem neuen Roman das Hörbuch persönlich gesprochen, das beim Bochumer Label Roof Records erschienen ist.

Frank Schorneck

Frank Goosen: Pink Moon. Eichborn, 300 Seiten, 19,90 Euro.