Geschrieben am 24. Januar 2015 von für Bücher, Crimemag, Film/Fernsehen

Frank Göhre: Du fährst nach Hamburg, ich schwör’s dir / Die Härte, der Reichtum und die Weite

Frank_Göhre_Du-fährst-nach-hamburgDesperado City

– Frank Göhre hat mit „Du fährst nach Hamburg, ich schwör’s dir“ und „Die Härte, der Reichtum und die Weite“ zwei „Heimatfilme“ literarisch montiert. Weltalltag auf dem Kiez. Eine Würdigung von Michael Töteberg.

Lucky Luciano, der mächtige Boss der New Yorker Unterwelt, wurde 1936 zu 50 Jahren Zuchthaus verurteilt, aber nach nur neun Jahren begnadigt – wegen „besonderer Verdienste für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten“, was immer sich hinter dieser Formulierung verbergen mag. Der Deal galt auch für seine zwei Dutzend engsten „Freunde und Mitarbeiter“, Bedingung war, dass sie die USA verließen in Richtung Europa. Lucky Luciano wählte Neapel als neuen Standort für seine Aktivitäten, aber nicht alle seine Leute gingen nach Italien. Einige siedelten sich in Istanbul, Beirut oder Tanger an, andere in der Schweiz. Giuseppe di Giorgio, der „Fahrer“ von Lucky Luciano, zog nach Hamburg.

Lemke_rockerDie Geschichte kommt Ihnen irgendwie bekannt vor? Da gibt es doch die Serie „Lilyhammer“: Der New Yorker Mafioso Frank Tagliano (gespielt von Steven Van Zandt, dem Silvio Dante aus den „Sopranos“), dem man im Rahmen des Zeugenschutzprogramms eine neue Identität in fernen Landen angeboten hat, sucht sich ausgerechnet eine norwegische Kleinstadt als neue Heimat aus. Der Unterschied: Frank Tagliano in Lillehammer ist Fernsehen, Giuseppe di Giorgio in Hamburg war Wirklichkeit.

Der distinguierte Herr im Nadelstreifenanzug flanierte gern über die Reeperbahn und ging regelmäßig bei „Cuneo“ essen. Er war der Einzige, der in dem Lokal stets eine Stoffserviette bekam: Ehre, wem Ehre gebührt. Als „Onkel Joe“ hochbetagt 1979 starb, türmten sich auf seinem Sarg die Kränze seiner Freunde. Auf einem stand: „Ehrlich und aufrecht war Dein Leben. Vieles hast Du uns gelehrt. Nach Deinem Kodex wollen wir streben.“ Der Kranz stammte von Wilfrid „Frida“ Schulz, dem legendären „König von St. Pauli“.

Frank-Göhre-_FotoFrank Göhre erzählt von Filmen, die im Kino liefen und in der Realität. Die Geschichte von Giuseppe di Giorgio collagiert er mit dem dokumentarisch anmutenden Spielfilm „Auf St. Pauli ist der Teufel los“, von Francesco Rosi (zum Nachruf bei CM) im Winter 1959/60 vor Ort gedreht. Ein italienischer Gastarbeiter, der seinen Job verloren hat und den es nach Hamburg verschlägt, gerät in die Fänge einer Mafia-Bande. Kenner aus dem Milieu erkannten gleich: Die Figur Don Raffaele ist angelehnt an Giuseppe di Giorgio. Rosi hat damals in Hamburg einiges gelernt. Danach drehte er die Mafia-Klassiker „Wer erschoss Salvatore G.?“, „Hände über der Stadt“, „Die Macht und ihr Preis“.

Auch von Wilfrid Schulz konnte man manches lernen. Er brachte z. B. dem Schauspieler Horst Frank bei den Dreharbeiten zu „Die Engel von St. Pauli“ bei, wie man stilgerecht Schmiergeld überreicht – das ist nämlich etwas anderes als Trinkgeld.

Überhaupt die Kinofilme von Jürgen Roland, der als „Großstadtrevier“-Fernsehonkel immer unterschätzt wird, er war ein Genre-Regisseur, wie es ihn hierzulande kein zweites Mal gegeben hat. Unter abenteuerlichen Produktionsbedingungen drehte er Filme, die ein Sam Fuller geliebt hätte, vom Feuilleton aber naserümpfend ignoriert wurden. Er hat immer gern echte Jungs und Mädels vom Kiez mitspielen lassen, ihm ging es um „authentische Fressen“. Da lohnt immer ein Blick in die dritte und vierte Reihe der Besetzung. In „Zinksärge für die Goldjungen“ sieht man z. B. „Dakota“-Uwe Carstens, die rechte Hand von Wilfrid Schulz.

Frank_Göhre_Die-Härte...Es war einmal …

Es war einmal. St. Pauli in den 1960er Jahren ist längst Legende. Göhre kennt das Milieu, er hat mit Romanen und Filmen selbst am Mythos mitgestrickt. Er packt die Backstorys zu Klaus Lemkes „Rocker“ und Roland Klicks „Supermarkt“ aus, unternimmt mit „Nordsee ist Mordsee“ von Hark Bohm einen Ausflug nach Wilhelmsburg. In seiner rasant geschnittenen Textcollage hangelt Göhre sich nicht an den Filmen entlang, sondern erzählt Stadtgeschichte. Hubert Fichte und Ulrike Meinhof werden ebenso zitiert wie Iris Berben, die Mopo oder die Hits aus der Jukebox jener Jahre.

Filmkunst und Trash, Kino und Realität, alles vermischt sich zu einem Film im Kopf, einem einzigen „Heimatfilm“. Das Buch ist auch eine Liebeserklärung an die Hansestadt. Heißt es in Klaus Lemkes „Rocker“: „Du fährst nach Hamburg, Alter, ich schwör’s Dir!“, drückt sich der Italiener Luca Messina in Jürgen Rolands „Zinksärge für die Goldjungen“ gesitteter aus: „Welch schöne Stadt, anders als bei uns, ganz anders. So friedlich, so gepflegt, so ruhig. Das wird meine Stadt, das schwöre ich.“

In der es aber zunehmend ungemütlicher zugeht. Die Konkurrenzkämpfe auf dem Kiez werden härter, der Großstadtsound wird schneller. Göhres „Heimatfilm“ übernimmt diesen Rhythmus. Vadim Glownas „Desperado City“ beschließt die Zeitreise.

Filmstil_DesperadoKennen Sie „Honky Tonk Women“ auf Wienerisch? Peter Schleicher hat die Stones übersetzt, und diese Texte durchziehen das letzte Kapitel. Um 1980 mischte Peter Nusser, den alle auf St. Pauli nur den „Wiener“ nannten, die Szene auf. Nach kurzer Zeit hatte er eine ganze Etage im „Palais d’Amour“ mit seinen Frauen belegt. Partner hatte er auch, Fritz Schroer, wegen seiner schrägstehenden Augen „Chinesen-Fritz“ genannt, und Dietmar Traub, „Lackschuh-Dieter“. Sie lebten nicht lange, gestorben eines unnatürlichen Todes.

In Glownas „Desperado City“ hat der „Wiener-Peter“ einen Auftritt; er spielt einen Zuhälter und hat in der Rolle ein paar Sätze zu sagen. Sechs Jahre später schweigt er vor Gericht. Peter Nusser wird als Auftraggeber des St.-Pauli-Killers Werner Pinzner zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch schon im Februar 2000 wird er aus Santa Fu entlassen und in sein Heimatland Österreich ausgewiesen. Er lebt heute auf Ibiza, und so schließt Göhre sein Buch mit einem Stones-Zitat aus „Sympathy for the Devil“: „Habe die Ehre, ihr wißt’s schon, wer i bin …“

Michael Töteberg

Frank Göhre: Du fährst nach Hamburg, ich schwör’s dir. Ein Heimatfilm. Teil 1. CulturBooks Maxi, Mai 2014. 65 Seiten. 4,99 Euro. Zum e-Book bei CulturBooks.
Frank Göhre: Die Härte, der Reichtum und die Weite. Ein Heimatfilm. Teils 2. CulturBooks Maxi, November 2014. 45 Seiten. 3,99 Euro. Zum e-Book bei CulturBooks.

Dieser Text erschien in einer anderen Fassung in Szene Hamburg. Das Stadtmagazin, Januar 2015.
Michael Töteberg ist Filmwissenschaftler und Leiter der „Rowohlt Agentur für Medienrechte“.

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