Knapp vorbei ist auch mitten hinein
– Es sind ganz normale Menschen mit ganz normalen Berufen in Florian Wackers Kurzgeschichten. Und er beschreibt lakonisch und unaufgeregt den Moment in ihrem Leben, der nicht mehr ganz so normal ist. Von Zoë Beck.
Da gibt es den Amateurfunker, dessen Freund Muffe immer öfter Petra heißt und deshalb sterben muss. Den Zugführer, der kurz vor Schichtende einfach aussteigt und einem Fuchs folgt, um dann eine fremde Nacht zu erleben. Den Busfahrer, der eine verletzte junge Eule auf den Beifahrersitz packt. Den jungen Mann, der einen ehemaligen Fußballtrainer in Albuquerque aufsucht – seine erste Reise in die USA –, um ihm Spendengelder für eine neue Hüfte zu überreichen. Einmal geht es um einen Polizisten, der offenbar nicht nur in einen Hasen zu viel Blei versenkt hat und nun durch die Nacht irrt, ein anderes Mal um eine Krankenpflegerin, die sich nach der Nachtschicht nicht schlafen legen kann, sondern erstmal ans Meer fahren muss.
Vierzehn Geschichten erzählen über die Erschütterung des Alltags, aber der in Frankfurt lebende Florian Wacker lenkt den Blick nicht auf das Zentrum des Erdbebens, sondern ein Stück daneben. Er wählt nicht die Perspektive des osteuropäischen Hilfsarbeiters aus einer Fleischfabrik, der sich umbringen will. Sondern die Geschichte wird über Budde erzählt, seit dreißig Jahren Arbeiter in eben dieser Fabrik, einer der letzten, die noch einen ordentlichen Arbeitsvertrag bekommen haben. Budde muss wegen der Hilfsarbeiter seinen angestammten Arbeitsplatz im Warmen räumen und wird in den Kühlraum verbannt. Seitdem ist er dauernd krank, vor allem aber unglücklich, die Kälte will nicht mehr aus seinem Körper. Als er beim Ausführen des Hundes im Wald den namenlosen Kollegen in seinem Blut findet, bringt er ihn ins Krankenhaus, beschützt ihn wie einen Freund. Das eigentliche Thema – nämlich Ausbeutung, moderne Sklaverei – wird vermeintlich aus dem Augenwinkel geschildert. Aber die Lücken, die bewussten Auslassungen erzählen so viel mehr.
Wie bei allen Erzählsammlungen gibt es stärkere und handwerklich etwas schwächere Geschichten. Wackers Niveau ist allerdings durchgehend erfreulich hoch. Er beruft sich auf die angloamerikanische Tradition der Short Story. Diese ist unübersehbar. Die titelgebende Geschichte „Albuquerque“ mag sich ein Stück weit daraus erklären, ist allerdings die einzige, die in den USA spielt. Alle anderen Geschichten sind in Deutschland verortet.
In einem Interview sagte der Autor, Kurzgeschichten würden zuweilen unterschätzt, was insofern richtig ist, als dass deren Verkäuflichkeit – im deutschsprachigen Raum – betrüblich gering ist und Verlage die talentierten Autorinnen und Autoren deshalb gern zur Romanform drängen. Sollte dies bei Wacker eintreten, bleibt zu hoffen, dass er der Kurzform trotzdem treu bleiben wird. Darin ist er eindeutig sehr stark, erzählt er doch auf zehn Seiten so viel mehr über unsere Gesellschaft und unsere Zeit, als manch andere auf zweihundert.
„Albuquerque“ ist Wackers erste Buchveröffentlichung. Der Mairisch Verlag hat die Ausgabe sehr schön und liebevoll gestaltet und bietet beim Kauf übrigens die Möglichkeit, sich zusätzlich kostenlos das eBook herunterzuladen.
Zoë Beck
Florian Wacker: Albuquerque. Erzählungen. Hardcover inklusive eBook. Mairisch Verlag 2014. 160 Seiten. 16,90 Euro.