Geschrieben am 4. April 2004 von für Bücher, Litmag, Rubriken

Feridun Zaimoglu: Kopf und Kragen

Kanak Attack – Rebellion der Minderheiten

Feridun Zaimoglu kann mitreißend erzählen. Seine Texte sind von so vitaler Energie wie die „Kanak Spark“ seiner Figuren, jenes „babylonische Kauderwelsch einer unbedingt auffälligen, unbedingt angestoßenen Generation“. Alle kurzen Geschichten des Bandes sind schneller vorbei, als man will. Mehr davon!

In ihrer Freizeit schreibt Merjem einen Roman. Ihre Brötchen verdient sie, indem sie feinen Herrschaften mit Sekt aufgefüllte Blutorangesüppchen oder Nocken von italienischer Fenchelwurst serviert. Ihre Freundin Nermin will Schauspielerin werden. Abend für Abend betört sie die Türsteher, sie auf vornehme Empfänge zu lassen, wo sie sich an Canapees satt isst und auf den Schlitz in ihrem Kleid setzt, um einen Jungregisseur auf sich aufmerksam zu machen. „Sie sind überall, die noch Unentdeckten, die Dachkammerromanciers und Sanguiniker all der vielen Künste, deren Vollendung nur noch eine Frage von Monaten ist. Sie träumen von einem Mäzen, der endlich an die Tür klopft, von einer Zusage eines renommierten Verlags, von ihrem ersten Plattenvertrag mit einem Majorlabel. Sie pendeln zwischen schimmelwandigen Isolierzellen und schlecht bezahlten McJobs, pfeifen auf eine Festanstellung und fahren im Jahr vielleicht zwei, drei Mal Taxi.“

Feridun Zaimoglu braucht nicht mehr Taxi zu fahren. Er gehört nicht zu jenen unentdeckten, jobbenden Dachkammerromanciers, von denen er schreibt. Nicht dass er einen Mäzen gefunden hätte, nein, aber mit unzähligen Artikeln in verschiedenen Zeitschriften, dem Roman „Liebesmale, scharlachrot“ und anderen Veröffentlichungen hat er sich eine ansehnliche Fangemeinde erschrieben. Seine an die „Kanak Spark“, den Straßenslang türkischer Jugendlicher, angelehnten Texte verleihen einer jungen Generation in Deutschland aufgewachsener türkischer Einwandererkindern eine Stimme und geben einen Einblick, welche Schwierigkeiten und Probleme es bereiten kann, als Fremder in Deutschland aufzuwachsen.

So auch die exemplarischen Szenen und zugespitzten Anekdoten aus dem deutsch-türkischen Alltag, die in „Kopf und Kragen“ versammelt sind. In einigen führt Zaimoglu vor, welch absurde Erfahrungen man machen kann, wenn man sich und seine Umgebung mit dem nötigen Quäntchen Ironie betrachtet. In anderen geht es um die Zusammenhänge zwischen erlebter Vergangenheit und gegenwärtiger Lebenswirklichkeit. So skizziert Zaimoglu in „Kanack Attack – Rebellion der Minderheiten“ die Geschichte seiner Eltern und Erlebnisse seiner Kindheit: Wie das war, als seine Mutter nach drei Tagen und drei Nächten im überfüllten Sonderzug auf der Wanderarbeiterstrasse im „verheißenen Land“ Deutschland ankam. Die neue Behausung: ein schauriges Kabuff mit abgegliederter Küchenzeile und Nasszelle, das seine Eltern mit einer anderen Gastarbeiterfamilie teilen mussten. Wie das war, als der Klassenlehrer Zaimoglu ermahnte, er solle sich mit seinen Berufsträumen „nicht verheben und Kfz-Mechaniker lernen, das sei Kunstfertigkeit genug für einen Türken“. Wie Zaimoglu und seine Freunde daraufhin den Spieß des Anders-Seins umdrehten und in deutschen Jugendlichen nur noch verweichlichte Goldlöckchen und Labello-Benutzer sahen, deren schmale „Gefühlsbörsen“ nicht mit den „Pathosmärkten der Türkischstämmigen“ mithalten konnten. Wie sich aus all den vergleichbaren Erfahrungen eine großmäulige Generationsidentität und eine ebenso wütende wie produktive Energie entwickeln konnte: „Die erfahrene Schmach und der erfahrbare Ausbruch eines jeden von uns schmelzen in eins, und wir nehmen hier ein Quäntlein Ehre und dort einen Zentner Akkordarbeit, um nie wieder in die Baracke zu kriechen, aus der wie kommen.“

Feridun Zaimoglu kann mitreißend erzählen. Seine Texte sind von so vitaler Energie wie die „Kanak Spark“ seiner Figuren, jenes „babylonische Kauderwelsch einer unbedingt auffälligen, unbedingt angestoßenen Generation“. Alle kurzen Geschichten des Bandes sind schneller vorbei, als man will. Mehr davon! Leider werden sie von fiktiven Interviews unterbrochen, in denen ein virtueller Journalist exemplarische Vertreter verschiedenster Berufe befragt: vom Boulevardblattredakteur, über den perversen Konzeptkünstler bis zum WC-Pfleger auf Autobahnraststätten. Wenn sich Zaimoglu den typischen Popliteraten vorknöpft, der sich durch Pseudocoolness und affige Wortgewandtheit outet, ist das noch lustig. In Serie verlieren die Interviews jedoch schnell ihren satirischen Stachel. Zu viele Stereotype, die angerissen werden, ohne einen Funken zu schlagen.

So bleibt zu hoffen, das Zaimoglu seine Geschichten über Minispekulanten, Straßenhändler, Kleiderdiebe, Imbissbudenbesitzer, „Türken-Bergeracs“, Goldkettchenträger und Fahrer „getunter Schrottkarren“ fortsetzt und wieder mal einen Roman vorlegt. Denn sein schneller, wortgewaltiger Sound hat die Kraft für Längeres.

Textauszug:
Also zog ich los, einen wunderbar mischmaschigen Halbstarken-Radau anzuzetteln, getrieben von der Unrast der Bastarde, gepeitscht vom Schalkdämon im Busen, fein- und feschgemacht, im prunkigen Rezessionshalunkenlook. Meinem Vater gefiel meine Aufmachung weniger gut, er sagte, ich sähe aus wie ein gepuderter Grützbeutel, und er würde an seiner Kummerkette ziehen, um mich gesund zu beten. Meine Mutter hielt den Vergleich mit einem gammligen Apfelbutzen für gerechtfertigt. Meine Schwester hielt dagegen, sie zöge eine angemalte Honigmotte einem öden Stubenhocker vor. Sie und ich, das war wie schön und rüde in einem Stall.

Markus Kuhn

Feridun Zaimoglu: Kopf und Kragen. Kurze Texte. S. Fischer Verlag, 190 S., 12,00 Euro.