Wie Staubsauger, abgestellt in Besenkammern
Eva Karnofsky gelingt es in ihrer fiktiven Sozialreportage soziale Anklage, politische Chronik und Gaumenkitzel in eine Form zu bringen, die niemals peinlich oder zynisch wirkt.
Mucama – das klingt nach einem exotischen Cocktail, einem Strand in Brasilien oder einem Modetanz. Für Frauen jedoch, die in Argentinien ihre Arbeitskraft für häusliche Dienstleistungen verkaufen müssen, hat dieses Wort überhaupt keinen unterhaltenden Reiz. ‚Mucamas’, das sind Hausangestellte, die der Oberschicht des Landes dabei helfen, dass sie ihren Reichtum auch ‚standesgemäß’ ausleben kann. Und auch das ist noch eine verharmlosende Definition, denn Angestellte arbeiten normalerweise mit einem Arbeitsvertrag oder können wenigstens eine ihrer Tätigkeit angemessene Behandlung erwarten. Angestellte läßt man nicht in fensterlosen Besenkammern schlafen. Viele ‚Mucamas’, die aus der argentinischen Provinz, vor allem aber aus Peru, Paraguay, Bolivien oder Ecuador nach Buenos Aires kommen, um dort in den Häusern der Wohlhabenden zu arbeiten, träumen davon, einmal in ihrem Leben als Angestellte angesehen und behandelt zu werden.
Eva Karnofsky, viele Jahre lang Korrespondentin der ‚Sueddeutschen Zeitung’ in Lateinamerika mit Sitz in Buenos Aires, stellt das Schicksal dieser ‚Mucamas’ in den Mittelpunkt ihrer literarisch-journalistischen Recherche in den „Besenkammern mit Bett“. Mit Statistiken oder soziologischen Studien könnte man vielleicht eine Aufmerksamkeit für die Situation illegaler Arbeitskräfte in Lateinamerika erreichen. Welche Erniedrigungen aber die betroffenen ‚Mucamas’ bei ihrer Arbeit erfahren, ist mit einer distanzierten soziologischen oder journalistischen Untersuchung nicht zu erfahren. Die Autorin hat sich deshalb für eine literarische Form entschieden, in der sie eine Kunstfigur Catalina ‚Cata’ Vazquez von ihrem peruanischen Heimatort bis nach Buenos Aires begleitet, vor allem aber ihre Erfahrungen bei der Arbeit als ‚Macuma’ schildert. „Nach ein paar Tagen begreift Cata, daß Adriana (ihre Freundin) und sie für ihre Herrschaften Maschinen sind: man kauft sie, und dann haben sie zu funktionieren. Bleiben sie stehen, haut man mit der Faust dagegen. Und wenn das nicht hilft, kauft man neue. Wie die Maschinen, haben sie keine Geschichte, keine Gefühle, keine Gesundheit. Und keine Sorgen. Sie laufen, oder sie laufen nicht“. Unglaublich, mit welcher Kälte manche dieser ‚Herrschaften’ aus der argentinischen Oberschicht ihre ‚Macumas’ behandeln. Nicht nur die Höhe der finanziellen Honorierung der alltäglichen Drecksarbeit schreit oft zum Himmel. Mehr noch ist es der arrogante, ‚herrschaftliche’ Umgang mit ‚Untergebenen’, der die Lektüre an manchen Stellen stocken läßt. „Die Reichen, selbst die mit gutem Charakter, haben offenbar nie gelernt, ihre ‚Mucama’ als Menschen zu sehen.“
Immerhin gibt es auch Ausnahmen unter den von Eva Karnofsky vorgestellten Familien des städtischen Bürgertums in Buenos Aires, die wenigstens einen humanen Standard im zwischenmenschlichen Umgang nicht unterschreiten. Gegen diese offensichtlichen Ausbeutungsverhältnisse zu rebellieren, ist den ‚Macumas’ nicht möglich, weil sie dann mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in ihre Herkunftsdörfer zurück müßten. Die Gewerkschaften bieten ein rhetorische Unterstützung an, aber letztlich sind ihnen die Probleme der illegalen Hausangestellten auch egal. Was bleibt, ist die Solidarität der Frauen untereinander, die sich vor allem in den von Eva Karnofsky sehr warmherzig geschilderten privaten Treffen der Frauen zeigt. Die Frauen, vermutlich auch die Autorin, kochen für ihr Leben gern. Und wenn es den Macumas am dreckigsten geht, wenn sie mal wieder von einem Tag auf den anderen entlassen worden sind, wenn sie an ihrem Leben in der Fremde verzweifeln – dann erzählen sie sich ihre Lieblingsgerichte oder kochen sie für ihre Freundinnen.
Eva Karnofsky gelingt es, soziale Anklage, politische Chronik ( z.B. die argentinische Wirtschaftskrise in den späten neunziger Jahren ) und Gaumenkitzel in eine Form zu bringen, die niemals peinlich oder zynisch wirkt. „Während die beiden Mädchen von ihrem Besuch bei der Gewerkschaft berichten, würfeln sie eine Zwiebel, eine Paprikaschote und gehäutete Tomaten, hacken Knoblauch und schneiden Rindfleisch in Würfel…“ Die in den Erzählfluß eingewobenen Rezepte werden sogar noch einmal in vom Text abgehobenen Form detailliert vorgestellt.
Eine Sozialreportage, die gleichzeitig auch in das Regal mit Kochbüchern gestellt werden kann. Das ist wirklich neu auf dem deutschen Büchermarkt. Ort des Geschehens ist das – aus deutscher Sicht – ferne Argentinien und das Wort ‚Macuma’ erscheint uns exotisch. Aber sind die geschilderten Schicksale illegaler Arbeiter, in Besenkammern lebender Hausangestellter uns tatsächlich so fremd? Werden hier nicht gesellschaftliche Entwicklungen in literarischer Form geschildert, die uns auch erwarten, die es vielleicht längst gibt, ohne daß sie zur Kenntnis genommen werden…? Ein Tabu, über das man nicht gerne spricht, weil bereits zu viele diese illegalen Arbeitsverhältnisse als vollkommen normal ansehen?
Carl Wilhelm Macke
Eva Karnofsky: Besenkammer mit Bett. Das Schicksal einer illegalen Hausangestellten in Lateinamerika. Horlemann-Verlag, Bad Honnef, 2005, Kartoniert. 245 Seiten. 12,90 Euro.