Geschrieben am 3. Mai 2016 von für Bücher, Litmag, News

Erzählungen: Laurie Penny: Babys Machen & andere Storys

Penny BabysDie Weltenbauerin

von Zoë Beck

Laurie Penny ist in Deutschland bekannter als in ihrer Heimat Großbritannien oder überhaupt im englischsprachigen Raum. Warum das so ist, kann sie nicht beantworten, sie selbst behauptet immer, es läge sicherlich an der Übersetzung, was natürlich reines Understatement ist, denn wer sie im Original gelesen hat, weiß, wie präzise und klar sie schreibt. Veranstaltungen mit ihr sind meist ausverkauft, sogar die kurzfristig anberaumten Zusatztermine.

Besonders bei ihren Veranstaltungen in Berlin fällt auf, dass viele Menschen im Publikum von Laurie Penny Antworten erwarten. Antworten auf ganz persönliche Fragen: Von „Wie verhalte ich mich, wenn jemand meine sexuelle Identität kritisiert?“ bis hin zu „Soll ich dieses Jobangebot annehmen?“ kommt alles vor, bisweilen hat man den Eindruck, die Autorin sei die agony aunt für alle, denen das Patriarchat zusetzt, die sich nicht in der binären Geschlechteridentität wiederfinden, die sich von den medial vermittelten Rollenbildern nicht repräsentiert fühlen …

Dabei ist es nicht einmal etwas revolutionär Neues, was Penny schreibt. Feministinnen, die mindestens zehn Jahre älter sind als Penny, sind deshalb manchmal enttäuscht von ihr, aber letztlich warten wohl auch sie auf Antworten. Das Bemerkenswerteste an Laurie Penny und ihrer großen Popularität ist nämlich: dass wir 2016 immer noch eine laute, junge Stimme brauchen, die uns daran erinnert, was sich in unserer Gesellschaft immer noch alles in Schieflage befindet.

Nun ist es ein Risiko, von einer Frau, die vor allem für ihre theoretischen Schriften bekannt ist, einen Erzählband herauszubringen. Einzelne Geschichten erschienen schon hier und da in Magazinen, aber ein ganzer Band ist in mehrfacher Hinsicht riskant: Wollen die Laurie Penny-Fans denn auch die Reise in ihre fiktiven Welten antreten? Reichen die Geschichten an ihre anderen Schriften heran? Und: Kauft eigentlich irgendjemand Kurzgeschichten? Zumal es keinen Testballon in Originalsprache gab. In Großbritannien ist der Band nicht erschienen, es gibt keine Verkaufszahlen, mit denen sich Weissagungen für den deutschen Markt anstellen ließen, keine Kritiken, die eine Einordnung vorwegnehmen, nichts.

Genau dazu sind aber kleine, tapfere Verlage wie Nautilus da. Um solche Risiken einzugehen, weil man an die Texte glaubt. Und es ist auch richtig zu denken, dass die Erzählungen neben den theoretischen Schriften bestehen können. Zum einen, weil sie in ihrer Science-Fiction-haftigkeit – einige spielen in einer nicht allzu fernen Zukunft oder knapp parallel zu unserer Zeit, andere sind weiter entfernt – Welten bauen, die schräg, absurd, beängstigend, zynisch, versöhnlich, all das zusammen sind. Sie befassen sich mit unserer Sicht auf die Gesellschaft und fragen, wie es sein könnte, wenn. Jede Figur, jedes Setting hat klar Pennys feministischen Blick als Grundlage. Zum anderen, weil die Geschichten an sich zum größten Teil (wenn auch nicht durchgehend, aber das ist bei Sammlungen ja häufig der Fall) gut sind. Gut geschrieben (mit kleinen Stolpereien in der Übersetzung, leider), gut geplottet, gut gedacht.

Penny sagt von sich selbst, dass sie auf eine ungesunde Art besessen davon ist, viel lesen zu müssen. Viel Fantasy und Science Fiction, und mit dem, was sie schreibt, steht sie in einer weiblichen Tradition, die im 17. Jahrhundert mit Margaret Cavendish begann, u.a. durch Mary Shelley und die für den Feminismus prägende Charlotte Perkins Gilman, Alice B. Sheldon (James Tiptree Jr.), Margaret Atwood und viele (!) anderen fortgeführt wurde und heute immer wieder neue, spannende feministische Stimmen wie Anja Kümmel und Pippa Goldschmidt – und eben auch Laurie Penny hervorbringt.

In „Wikinger-Nacht“ wird uns vor Augen geführt, wie absurd und, ja, dämlich die Männerwelt im Geschäftsleben ist – schlicht dadurch, dass Penny die Geschlechter austauscht, die Mechanismen aber bestehen lässt, wie sie gerade sind. Ein wunderbares Statement dafür, dass es beim Feminismus eben nicht darum geht, das eine Geschlecht gegen das andere auszutauschen, sondern um das Aufbrechen und Abschaffen von Strukturen, die uns alle betreffen und letztlich behindern. „Babys machen“ wurde im Vorfeld schon viel diskutiert, die Geschichte erschien im vergangenen Jahr im Kultur-Spiegel und handelt von einem Roboter-Baby, dessen Erschafferin/Mutter keine Lust auf Schwangerschaft und Geburtswehen hatte. „Das Tötungsglas“ erzählt von einer Gesellschaft, in der der Serienmord als Kunstform anerkannt ist, „Kleine Gnaden“ macht uns mit dem Callcenter bekannt, in dem unsere Gebete landen. Es gibt Dystopien wie „Hush“, Interstellares wie „Wie man seine Gefühle isst“, Gemeinheiten wie „Praktische Magie“ oder die wunderbar boshafte Geschichte „Blue Monday“, in der die entzückenden Videos mit flauschigen Tierbabys industriell und urheberrechtlich geschützt hergestellt werden, um die Internetuser stets in die richtige Laune zu versetzen. Die bereits angesprochene unterschiedliche Qualität der Geschichten mag sicherlich damit zu tun haben, dass sie aus unterschiedlichen Schaffensphasen stammen, was sie aber nicht weniger interessant macht, thematisch, inhaltlich. Manchmal scheint es, als suche sie noch nach dem richtigen Stil, manchmal hat sie ihn präzise getroffen.

Immer begegnen wir Frauenfiguren, die anders sind. Anders im Sinne des medial vermittelten Frauenbildes. Sie wollen keine Kinder, jedenfalls nicht auf die übliche Art. Sie haben technische Berufe, und es ist nicht mal etwas Besonderes. Sie sind nicht emotional, sie sind nicht auf die Art schön, von der Hochglanzmagazine und Hollywoodfilme behaupten, es handele sich um Schönheit, sie lieben Frauen, ohne dass es groß zum Thema gemacht wird. Sie sind stark, sie sind unsicher, sie sind gemein, sie sind großherzig. Penny schreibt bewusst gegen die Heteronormativität an und erschafft dadurch andere Welten, in denen sich vielleicht ähnliche Geschichten abspielen wie in unserer Gegenwart, weil menschliche Wesen nun einmal lieben und hassen und Sehnsüchte haben, aber die veränderten Strukturen bilden beim Lesen häufige Störfaktoren, die den Blick neu lenken und unser grundsätzliches Denken über diese weiße, patriarchal geprägte Welt attackieren.

Zoë Beck

Laurie Penny: Babys machen & andere Storys. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Nautilus, März 2016. HC 19,90 €. eBook: 15,99 Euro.

Tags : , , , , , , , , , , , ,