Geschrieben am 16. Juni 2012 von für Bücher, Crimemag

Élmer Mendoza: Das pazifische Kartell

Acid Test und Drogenkrieg in Mexiko

– Eine actionreiche Handlung, ein schneller Erzählrhythmus, wortgewandte Dialoge, eine Leiche nach der anderen, makabre Verstümmelungen, Sex & Drugs … das sind die Zutaten für einen erfolgversprechenden Thriller. Für ein paar Stunden genüsslicher Unterhaltung reicht das allemal,  findet Doris Wieser …

Trotzdem enttäuscht „Das pazifische Kartell“ des Mexikaners Élmer Mendoza (*1949, Culiacán), der im spanischsprachigen Raum schon vielfach als der Autor gelobt wurde, der den Drogenkrieg im Norden des Landes am eindringlichsten darstellt. In Bezug auf seinen neuesten Roman ist dies mindestens eine Übertreibung. Der deutsche Titel und Klappentext suggerieren, dass es mal wieder um Narco-Kriminalität geht, doch muss das pazifische Kartell mit seinen Allianzen in Politik, Polizei und Wirtschaft in Mexiko und den USA lediglich als Lokalkolorit herhalten, und nicht einmal das will so recht gelingen. Aktuelle Ereignisse wie Präsident Calderóns Krieg gegen die Drogenkartelle und Präsident Bushs Projekt einer über tausend Kilometer langen Mauer zwischen Mexiko und den USA werden immer wieder gestreift. Ihre lapidare Behandlung trägt jedoch kaum etwas zur Diskussion über die Notwendigkeit oder Überzogenheit solcher Maßnahmen bei, ja macht die Situation für den Leser nicht einmal annähernd greifbar. Man findet dazu nicht viel mehr als platte Bemerkungen:

„Na gut, ich habe dich herbringen lassen, weil ich Waffen brauche, der Präsident hat uns den Krieg erklärt, und ich will nicht mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden“ (37).

„Das mit dem Krieg ist der Hammer, oder? Die Typen von der Regierung haben keinen blassen Schimmer, was für ein Gemetzel sie damit anrichten“ (216).

Im ganzen Roman will und will kein Ambiente entstehen, weswegen der Leser auch kein Gefühl für die örtlichen Realitäten, für die geographische und kulturelle Situation Nordmexikos, entwickeln kann. Stattdessen geht es um einen denkbar banalen Eifersuchtsmord an einer Prostituierten. Der Mörder hat der Toten eine Brustwarze abgeschnitten und genau daran hängt sich die ganze Handlung auf. Eklig, nicht besonders originell, aber hervorragend dafür geeignet, über 300 Seiten hinweg feuchte, alkoholisierte Männerfantasien zu thematisieren. Und genau das macht Mendoza in einer Art und Weise, die nicht etwa die Verschränkung von Kriminalität und Machismo kritisch hinterfragt, sondern in einem dysfunktionalen, misogynen Sprücheklopfen badet. Nur um zwei Beispiele zu nennen:

„Sag bloß, du warst einer ihrer Betthupferl. Wo denkst du hin, ich war ein braver Junge. Die hat’s nämlich mit Gott und der Welt getrieben, ihre Muschi war immer heiß, wenn du wüsstest, was die mir alles erzählt hat, ihr ganzes Wesen hat sich praktisch zwischen ihren Beinen konzentriert“ (57).

„Hat sie mal erwähnt, welche Art Kondome sie am liebsten mag? Gar keine, sie sagt, Sex mit Gummi ist wie verpackte Bonbons lutschen […]. Du wirst die Zeit deines Lebens haben, bester Noriega, die Frau kann ihre Muschimuskeln zucken lassen und hat multiple Orgasmen“ (218).

Natürlich sind die Leser nicht so naiv, die Stimme der Figuren mit der des Erzählers oder schlimmer noch des Autors zu verwechseln. Aber was ist hier los mit dem Erzähler? Wo ist er überhaupt? Er überlässt die Arena fast vollständig den Figuren. Figurenrede wird an Figurenrede gestückelt, ohne graphische Kennzeichnung, eine Technik, die Mendoza seit einiger Zeit anwendet und längst ausgereizt hat. Die Daumenprobe scheint uns eine dialoglose Narration zu zeigen, tatsächlich aber handelt es sich um einen extrem dialoglastigen Text, in dem der Erzähler uns nur wenige Einblicke ins Figureninnere gewährt, und kaum eine Aussage durch einen Kommentar in ein anderes Licht rückt, oder uns überhaupt mal signalisiert, in welchem Licht sie zu lesen ist (camera-eye-Technik). So gesehen fragt man sich schon, was Mendoza uns eigentlich über Mexiko und die mexikanischen Männer erzählen möchte.

Zudem bleibt der Protagonist, Edgar Mendieta, el Zurdo (der Linkshänder), als Figur mehr als blass, trotz der Gespräche mit seiner Haushälterin, dem Zweifel darüber, ob er der Vater des Sohns seiner Ex ist, und der Erinnerung an seinen exilierten Bruder. Mendieta ist, genauer gesagt, eine Funktion und keine Figur, eine blutleere Ermittlerinstanz.

Élmer Mendoza (Quelle: wikipedia)

Beunruhigend

Dennoch ist das Buch wirklich sehr beunruhigend. Es beunruhigt durch seine bloße Existenz, die dem Leser zwei Rätsel aufgibt. Erstens: Was ist nur aus Élmer Mendoza geworden, der mit „Un asesino solitario“ (dt. Ein einsamer Mörder) und „El amante de Janis Joplin“ (dt. Janis Joplins Liebhaber) zwei Romane vorgelegt hat, die sich sehen lassen können und mehr zu versprechen schienen? Und zweitens: Was ist nur mit dem Suhrkamp Verlag geworden, der die zwei schlechtesten Werke des Autors zuerst übersetzt? (neben „Das pazifische Kartell“ auch „Silber“, 2010). Élmer Mendoza klassifiziert seine früheren Romane selbst nicht als Kriminalromane, obwohl er natürlich seit eh und je mittendrin im Genre steht, auch wenn oder gerade weil er strukturellen Freestyle produzierte. Erst seit er glaubt, näher an die großen Traditionslinien der Kriminalliteratur heranrücken zu müssen, scheint er sein Handwerk verlernt zu haben. Jetzt präsentiert er uns einen polizeilichen Ermittler, der zu allem Überfluss auch noch anständig ist, den üblichen Lastern frönt und den Beginn einer Romanserie bildet, für deren Zukunft ich allerdings schwarzsehe.

Was bleibt von all dem übrig? Neben der aktionsgeladenen, leichten Unterhaltung, auch der spanische Titel, „La prueba del ácido“, der auf eine irgendwie immer noch positiv konnotierte Drogenkultur einer anderen Zeit anspielt, auf Ken Keseys Acid Test Partys in den 1960er Jahren und Tom Wolfes „The Electric Kool-Aid Acid Test“ (1968). Der Titel kontrastiert somit die US-amerikanischen Drogenkonsumenten mit der nur noch blutigen und nur noch korrupten mexikanischen Realität und macht damit eine wichtige Bedeutungsebene auf, die in der deutschen Übersetzung völlig untergeht.

Doris Wieser

Élmer Mendoza: Das pazifische Kartell (La prueba del ácido, 2010). Deutsch von Matthias Strobel. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012. 312 Seiten. Verlagsinformationen zum Buch.

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