Faszinierendes, dramatisiertes Zeitdokument
Der vielseitige Roman „Frauenkaserne“ der französischen Autorin Tereska Torrès (1920-2012) gilt manchen als erster lesbischer Pulp-Roman, ist aber ebenso eine ernste, autobiographisch gefärbte Schilderung der Erlebnisse der Autorin während des zweiten Weltkriegs. Inka Marter, die die gerade im Louisoder Verlag erschienene Neuübersetzung besorgt hat, schreibt in LitMag über die interessante Entstehungs- und Editionsgeschichte des über vier Millionen Mal verkauften und in 14 Sprachen übersetzten Buches.
In „Frauenkaserne“ wird erzählt, wie die junge Tereska während der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg nach England flieht und sich in London einem gerade gegründeten Frauenkontingent der Freien Französischen Streitkräfte anschließt. Damit beginnt für sie und viele andere das Leben in der titelgebenden Frauenkaserne, und dieses Leben ist ambivalent.
Einmal herrscht Krieg, London wird bombardiert, und in der Kaserne herrscht ein strenges Regiment. Die jungen Frauen haben sich voller Begeisterung freiwillig gemeldet, aber als das Exil immer länger andauert, kommt die Frustration.
Gleichzeitig bietet die Situation unerwartete Möglichkeiten, gerade für die vier eher behütet aufgewachsenen Protagonistinnen. Sie sind weit weg von ihren Familien und lernen Frauen anderer Gesellschaftsschichten und -kreise kennen, Bohémiennes und Arbeiterinnen, mit eindeutig mehr sexueller Erfahrung und einem ganz anderen Lebensstil. Und so stürzen sich viele der meist unverheirateten Frauen in Liebes- und Sexabenteuer, mit Männern und/oder Frauen.
Dieser ambivalente Charakter zeigt sich – vielleicht auf andere Weise – schon in der Editionsgeschichte.
Tereska Torrès – damals noch Szwarc – floh wirklich aus Paris nach London (eigentlich jedoch gemeinsam mit ihrer Mutter) und trat den Freien Französischen Streitkräften bei. Ihr Vater, der Bildhauer Marek Szwarc, der seit 1910 mit Unterbrechungen in Paris lebte, gehörte der polnischen Exilarmee an und war zumindest zeitweise ebenfalls in London. Torrès Tagebuch der Londoner Kriegsjahre ist unter dem Titel „Une française libre“ (Phébus 2000) veröffentlicht worden, und aus der Lektüre geht hervor, dass zumindest einige der Frauen aus der Kaserne wirklich existiert haben, auch wenn sie in beiden Texten unter verschiedenen Namen vorkommen. Manche Teile der Erzählung scheinen sogar fast wörtlich aus den Tagebüchern übernommen zu sein.
In „Frauenkaserne“, um den es hier ja eigentlich geht, geschieht jedoch etwas ganz anderes. Durch vor allem zwei Strategien wird der Wirklichkeitsgehalt der Erzählung betont. Einmal wird die Ich-Erzählerin im Roman – wirklich nur ein einziges Mal, wie der Marcel in Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ – als Tereska angesprochen und damit die Identität von Autorin und Erzählerin definiert. Und dann sagt Torrès ja auch schon in ihrem Vorwort, dass es sich bei der Erzählung um ihre eigenen Erinnerungen handelt.
Das Merkwürdige an der ganzen Sache ist eigentlich aber, dass vor Torrès Vorwort noch ein anderes Vorwort steht, das Vorwort des letztlich fiktiven Übersetzers „George Cummings“, das im Prinzip wie eine Herausgeberfiktion funktioniert. Der amerikanische Übersetzer behauptet, Tereska Torrès aus dem Krieg zu kennen und sie und ihr Manuskript später in Paris zufällig wiedergetroffen, sozusagen „gefunden“ zu haben. Und er bestätigt, dass das Buch dieselben Geschichten erzählt, die er auch schon im Krieg von ihr gehört hatte.
In Wirklichkeit war der Übersetzer der amerikanische Autor und Journalist Meyer Levin, Torrès zweiter Ehemann, derselbe, der sie ihren eigenen Worten zufolge überhaupt erst darauf brachte, den Roman zu schreiben. Sie schreibt das Buch noch in Frankreich. Meyer Levin, der meint, es würde „die Amerikaner interessieren“, reist mit dem Manuskript im Gepäck in die Vereinigten Staaten.
Er übersetzt es dort und bringt es tatsächlich bei einem Verlag (Fawcett) unter, wo es 1950 unter dem Titel „Women’s Barracks“ erscheint (und zeitnah von Melitta Ollendorf ein erstes Mal ins Deutsche übertragen). Allerdings wollte der Verleger das Buch nur unter einer Bedingung herausbringen, um sich schon im Vorfeld vor Klagen zu schützen: man brauchte eine Erzählerin, die eine moralische Instanz darstellt und die damals skandalösen Schilderungen von Sex und lockerer Moral ins rechte Licht setzte. Also hat Levin selbst diese moralisierenden Änderungen vorgenommen und zu diesem Zweck sicher auch das Vorwort geschrieben, in dem neben der Authentizität die mahnende, erzieherische Funktion des Romans betont wird (Ebenfalls in ambivalenter Weise, denn in der Warnung vor den Auswirkungen des Kasernenlebens auf die jungen Mädchen steckt fast ein schlüpfriges Versprechen skandalöser Inhalt. Sex sells.)
Levin hat die Änderungen am Text mit Tereska telefonisch besprochen und sie war einverstanden. In einem Interview sagt Torrès, sie habe die Übersetzung später gelesen und sie würde dem Text gerecht werden – die moralisch kommentierende Erzählerin, die sie eher als notwendiges Übel betrachtete, nahm sie davon allerdings aus. Vielleicht veröffentlichte sie deshalb 2011 den Roman „Jeunes femmes en uniforme“ (Phébus), der praktisch eine Neubearbeitung von „Frauenkaserne“ darstellt. Darin fällt die Ich-Erzählerin weg und mit ihr einmal die Figur der Tereska – der Stoff wird damit ganz in den Bereich der Fiktion verwiesen – und auch die moralisierende Instanz, die Torrès eigentlich so wenig entsprach.
Wie auch immer, die moralischen Schutzmaßnahmen des Verlags erfüllten ihren Zweck, 1952 wurde das Buch in den USA nur fast wegen pornographischen Inhalts verboten.
Inzwischen hat der Sex im Buch nichts Skandalträchtiges mehr, auch wenn man sich immer noch vorstellen kann, was die Gemüter wohl damals aufgeregt hat. Aber nichtsdestoweniger ist es eine spannende, faszinierende Lektüre.
Inka Marter
Tereska Torrès: Frauenkaserne (Women’s Barracks, 1950). Übersetzt von Inka Marter. Louisoder Verlag 2015. 336 Seiten. 16,90 Euro.