Glanzstücke des rasenden Reporter
– Der rasende Reporter Egon Erwin Kisch ist eine journalistische Legende. Mit seinen Berliner Reportagen brachte er in den ersten Dekaden des letzten Jahrhunderts die Symphonie der nie schlafenden und einem neuen Zeittakt folgenden Großstadt zum Erklingen. In einer feinen und in edles rotes Leinen gebundenen Ausgabe des Wagenbach-Verlags sind jetzt einige Glanzstücke seiner Reportagen (wieder) zu entdecken. Von Karsten Herrmann.
In ebenso geschliffener wie flotter Prosa nimmt Kisch in seinen Reportagen das Berliner Leben in seinen schillernden und auch abseitigen Ausprägungen in den Fokus – vom neuesten „Heiratsautomaten“ über die „Schädelkunde“ und die Vertreibung der Boheme aus dem Café des Westens bis zum Lunapark und Sechstagerennen.
Einen ganz besonderen Blick wirft er als Jude und bekennender Kommunist auch auf die sozialen und politischen Verwerfungen seiner Zeit – auf die ausgezehrten Menschen in den Berliner Arbeitervierteln, die hungernden Bettler und Kriegsinvaliden oder die rasende Inflation, die ein Pfund Butter bald eine Million Mark kosten lässt. Kontrastiert werden solche Szenen mit einem herrlichen Verriss der „Siegesallee Wilhelm II“ mit ihren marmornen Ahnenreihen, die er als „riesenhafte Kitschsammlung“ und „Orgie der Geschmacklosigkeit“ brandmarkt.
Egon Erwin Kisch zeigt sich mit seinen Themen als Chronist und Seismograph einer Gesellschaft, die sich kulturell, wissenschaftlich, wirtschaftlich und auch politisch in rasenden Umbrüchen befindet: „Berlin hat keine Zeit – kein Vergangenheit und Zukunft“, sondern nur das Jetzt.
In Stil und Gestus sind seine Reportagen, die zwar der Zeit verhaftet sind, aber keinerlei Patina angesetzt haben, äußerst variabel. Typisch ist zwar Kischs tänzelnder, lakonischer und leicht (selbst-) ironisch grundierter Stil. Aber gegen die Missstände seiner Zeit muss er auch zuweilen das spitze Florett aus der Hand legen und zum derben Degen greifen – so zum Beispiel, wenn er die ausufernden Staatsmacht und -gewalt aufs Korn nimmt und die Polizei als „ein notwendiges Übel, wie Abdecker oder Wanzenjäger“ verunglimpft.
Besonders beeindruckend sind Kischs Reportagen über die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, die in ihrer Perfidität und Grausamkeit dem Leser noch heute Schauer über den Rücken jagt. In seiner Reportage „In den Kasematten von Spandau“ aus dem Jahr 1933 leuchtet schließlich schon der ganze Schrecken der nationalsozialistischen Machtergreifung auf: „Am Abend brannte das Reichstagsgebäude, am morgen wurde ich verhaftet“ – und zehn Tage später aus Deutschland ausgewiesen. Über den antifaschistischen Widerstand in Paris und den Spanischen Bürgerkrieg führt ihn sein weiterer Weg nach Mexiko und wieder zurück in seinen Geburtsort Prag, wo er 1948 verstarb.
Karsten Herrmann
Egon Erwin Kisch: Aus dem Café Größenwahn. Berliner Reportagen. Wagenbach 2013. 144 Seiten. 15,90 Euro. Foto: Egon Kisch aboard the Strathaird Melbourne’s Station Pier November 1934, Author: Sam Hood. Quelle.