Geschrieben am 5. Dezember 2012 von für Bücher, Litmag

Douglas T. Kenrick: Sex, Mord und der Sinn des Lebens

Die Antwort auf alles:

die Evolutionspsychologie. So verspricht es Douglas T. Kenrick in seinem Vorwort zu „Sex, Mord und der Sinn des Lebens“. Warum sind wir so wie wir sind, warum gleichen wir uns darin alle? Darüber hinaus will er menschliche Phänomene wie Kultur, Religion und Wirtschaft in ihren Ausformungen erklären und zu guter Letzt dem Sinn des Lebens auf den Grund gehen.
Vom Ergebnis berichtet Nora Helbling.

Hitzige junge Wissenschaftler

Kenricks Wunderwerkzeug ist eine in den 70ern aufkommende Wissenschaft, die menschliches Verhalten im Zusammenhang mit evolutionären Prozessen untersucht. Inspiriert von Jane Lancasters „Primate Behaviour“ und E.O. Wilsons „Sociobiology“ und der Idee, dass Theorien tierischen Verhaltens auf menschliches übertragbar seien, war der junge Kenrick selbst in den Anfängen dabei. Vor allem zu Beginn mussten sich Evolutionspsychologen gegen kontroverse Kritik verteidigen. Zu vereinfachend hieß es, fördert reduzierte Geschlechtermodelle und Vorurteile und beschäftigt sich scheinbar nur mit den reißerischen Themen. Heute ist die Evolutionspsychologie eine weitgehend etablierte Wissenschaft, doch im Buch schwingt noch der streitlustige Ton von hitzigen Diskussionen junger Wissenschaftler mit.

Überhaupt ist „Sex, Mord und der Sinn des Lebens“ ein ziemlich persönliches Buch. Kenrick leitet seine Kapitel mit anschaulichen Anekdoten ein, und davon hat er viele. Schulverweise, Ganggeschichten, trinkender und prügelnder Stiefvater, Vater und Bruder in Sing Sing. Zwischendurch auch Harmloseres wie ein verkorkster Familienurlaub oder ein Ferienjob im New Yorker Theaterviertel. Das macht das Buch bunt, nimmt den Leser mit und manchmal langweilen die ausführlichen Geschichten auch.

Was nicht heißen soll, dass Kenricks populärwissenschaftliche Lektüre nicht auch lehrreich ist.

Wir wollen uns vermehren

Die wichtigste Information vorneweg: Hinter allem, was wir tun, steht das Streben nach erfolgreicher Reproduktion.

Ein einfaches Beispiel: der Zusammenhang von Attraktivität und Dominanz. Seine Untersuchungen ergaben, dass Männer auf attraktive Frauen reagieren, Frauen dagegen auf dominante bzw. erfolgreiche Männer.

Das klingt nach Klischee, begründet sich aber laut Kenrick in der Suche nach erfolgreicher Fortpflanzung. Denn attraktiv heißt hier Merkmale besonders guter Fruchtbarkeitswerte: runde Hüften, volle Brüste, glänzendes Haar. Frauen dagegen investieren mehr in den Nachwuchs (allein schon biologisch bedingt). Daher ist ein sicherer Versorger besonders gefragt, was meist Männer mit hohem Status leisten können.

Aber, und da leuchtet der Titel heller als er ist, es geht nicht in Freud’scher Manier nur um das eine. Erfolgreiche Weitergabe der Gene bedeutet keineswegs nur Sex, sondern vielmehr auch Beziehungspflege und existenzielle Sicherung des Nachwuchses. Auf diese Weise führt hier das eine zum andern, bis Kenricks Thesenketten irgendwann bei den grundlegenden Fragen menschlichen Verhaltens angelangt sind.

Gewalt? Ausdruck der Verteidigung des eigenen Status, um auf dem Partnermarkt attraktiv zu bleiben.

Vorurteile? Ein aus evolutionärer Sicht logisch erklärbares Problem.

Kreativität? Ein Motiv der männlichen Balzzeit.

Religionsgemeinschaft? Eine Frage der eigenen Fortpflanzungsstrategie.

Nebenbei renoviert Kenrick die Maslow’sche Bedürfnispyramide, die sich mit den hierarchischen Strukturen menschlicher Bedürfnisse und Motivationen auseinandersetzt. Er wirft einen evolutionären Blick auf das mathematische Gefangenendilemma und streift überhaupt verschiedenste Disziplinen mit fachlich sicherem Blick.

You and me, baby, ain’t nothing but mammals …

Das alles bleibt zwar eher an der Oberfläche, aber zum Nachdenken bringt das Buch einen dennoch. In seiner Darstellung rückt der Mensch immer mehr in die Nähe des Tieres, sodass sich der Leser irgendwann fragen muss, ob er nicht chancenlos evolutionär determiniert ist?

Ja und nein, sagt Kenrick. Das Gehirn funktioniert zwar nach bestimmten Mustern, lässt aber auch immer Spielraum für eigene Entfaltung. Kenrick vergleicht das mit einem Malbuch: Die Linien des auszumalenden Tieres sind vorgegeben. Raum und Farbe sind also impliziert, aber trotz allem jedem selbst überlassen.

Und tatsächlich. Auch wenn Kenricks Buch nicht den Sinn des Lebens beantwortet, hat man am Schluss doch das Gefühl, menschliches Verhalten etwas besser verstanden zu haben. Da kann einem dann vorkommen, als sei der Mensch in dieser Welt vielleicht doch nicht ein so außerordentlich besonderes Tier.

Und das ist ziemlich tröstlich.

Nora Helbling

Douglas Kenrick: Sex, Mord und der Sinn des Lebens (Sex, Murder and the Meaning of Life, 2011). Wie die Evolutionspsychologie unser Menschenbild revolutioniert. Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Neubauer. Bern: Verlag Hans Huber 2012. 221 Seiten. 24,95 Euro.

Tags : , , , ,