Geschrieben am 20. Mai 2015 von für Bücher, Litmag

Donal Ryan: Die Sache mit dem Dezember

Ryan_Die sache mit dem Dezember„Hirni“ mit Durchblick

– Donal Ryan gilt als großes irisches Erzähltalent und wurde mit begeisterten Lobeshymnen bedacht – sein Roman „Die Sache mit dem Dezember“ liefert ein sensibles aber auch ätzendes Psychogramm eines Außenseiters und die Diagnose ungebremster kollektiver Gier während der exzessiven Immobilien-Blase. Von Peter Münder

Johnsey Cunliffe hat Probleme damit, seine herumflirrenden Wahrnehmungen, Überlegungen und Phantasien irgendwie als verständliche Wörter oder Sätze auf die Reihe zu kriegen und wird deswegen von vielen im kleinen ländlichen Nest gemobbt und als „Hirni“ verhöhnt. Er hat einen Job bei der Co-Op und schlägt sich, obwohl er eigentlich von allem um sich herum restlos überfordert ist, alleine durch. Sein verstorbener Vater war ein harter Hund, der sich aggressiv durch alle Krisen und Probleme durchboxen konnte, doch für Johnsey ist das permanente Mobben durch den heimtückischen asozialen Widerling Eugene Penrose und seine Gang allmählich zum Alptraum geworden.

Als ein Immobilienkonzern während der „keltischen Tiger“-Euphorie ein renditeträchtiges Shopping-Mall Center bauen will und für Johnseys Land ein hübsches Sümmchen anbietet, dreht die komplette Nachbarschaft durch: Alle wollen mit absahnen, ihn übers Ohr hauen, er soll ums goldene Kalb mittanzen – aber der „Hirni“ bleibt stur und lehnt ab.

Johnsey wird zusammengeschlagen, landet im Hospital und lernt ein schräges Duo kennen – die flotte Krankenschwester Siobhan und den eitlen Schwätzer Nuschel-Dave – die den hilflosen Außenseiter bezirzen und manipulieren wollen. Schließlich ergibt sich eine explosive High Noon-Eskalation, als der durchgedrehte Dorf-Mob den weltfremden Johnsey erledigen will.

Tja, was soll man mehr loben? Den wunderbar originellen Sprachwitz und Erzählstil des auf Arbeitsrecht spezialisierten 39jährigen Juristen Ryan? Sein Einfühlungsvermögen, das die Innenwelt des Sonderlings so anrührend widerspiegelt ohne in sentimentales Geschwätz zu verfallen? Die Darstellung der tristen Dorf-Atmosphäre, die dank skurriler Typen und bizarrer Dialoge dennoch jederzeit in aberwitzig-komische Szenen umkippen kann?

Und was ist nun überhaupt „die Sache mit dem Dezember“? Zieht er nur blitzschnell vorbei, wie Johnsey erleichtert feststellt, nachdem man endlich all die überflüssigen Geschenke für die Verwandten verteilt hat? Ist man daher nicht froh, „wenn der Januar kommt und das Kalben losgeht und man mit jedem neuen Leben, das in den Kuhstall plumpst, ein bisschen reicher wird“?

Ist es außerdem nicht so, möchte der Rezensent anmerken, dass ein Roman wie der von Donal Ryan den Leser einfach staunen lässt und ihn auch reicher macht? Wann haben wir schon so eine souveräne erzählerische Gratwanderung zwischen melodramatisch-depressiver Düsternis und befreiender Komik erlebt? Und eine so locker-flockige Übersetzung genießen können wie die von Anna-Nina-Kroll.

Doch die anglo-irischen Kritiker-Vergleiche zwischen Ryan und bekannten irischen Autoren wie John McGahern, Roddy Doyle, Patrick McCabe, Joseph O´Connor oder Claire Kilroy führen nicht weiter: Der preisgekrönte Ryan hat längst seine eigene Stimme, seinen eigenen Mikrokosmos mit unverwechselbarer Atmosphäre und unter die Haut gehenden Problemen faszinierender Typen gefunden. Daher sind wir auf seinen nächsten ins Deutsche übersetzten Roman „The Spinning Heart“ gespannt, der ja eigentlich sein erster war. Und bereits 2012 erschienen war, nachdem Ryan 47 Absagen von Verlagen bekommen hatte.

Peter Münder

Donal Ryan: Die Sache mit dem Dezember (The Thing About December, 2014). Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll. Diogenes Verlag, Zürich 2015. 259 Seiten. 19,80 Euro.

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