Geschrieben am 30. Januar 2013 von für Bücher, Litmag

Dieter Richter: Jean Paul. Eine Reise-Biographie

Umschlagfilm_JP.inddKleine Fluchten

– Ein Hinweis auf Dieter Richters „Reise-Biographie“ Jean Pauls. Von Wolfram Schütte

Der 250. Geburtstag Jean Pauls (1763–1825) am 21. März wirft schon seine Schatten, sprich (in seinem Falle ganz adäquat): Bücher voraus. Während Günther de Bruyn seine fulminante Biographie für eine Neuedition in seinem heutigen Verlag ( S. Fischer) überholt hat, kündigt Hanser, wo am meisten durch die große, von Höllerer & Miller besorgte Werkausgabe für den vergessenen Klassiker getan worden war, für das Frühjahr sowohl eine umfängliche Auswahl an Briefen wie auch eine Bio-Monographie von dem langjährigen Präsidenten der JP-Gesellschaft (Helmut Pfotenhauer) an.

Eine Bildbiographie & ein „Taschenatlas“, der die an zahlreichen Orten stattfindenden Jubilarveranstaltungen „dokumentiert und vertieft“, sind in dem Schweizer „Nimbus“-Verlag annonciert.

Bereits im Transit-Verlag erschienen ist das hier angezeigte Bändchen einer „Reise-Biographie“ Jean Pauls, die der Namensvetter Richter im Transit-Verlag publiziert hat. Dieter Richter ist in Hof geboren, aber mit Jean Paul (Friedrich Richter) nicht verwandt. Bekannt wurde der 2004 emerierte Bremer Literaturwissenschaftler als viel gelobter Autor zweier Italienbücher im Wagenbach-Verlag – ein Land, das Jean Paul nie betreten hat.

Für jemanden, der einen fiktionalen Reisenden einmal beschreibt, der in seiner bewusst ausblickslosen Kutsche reist, um ja recht schön von der eigenen Phantasie sich die Landschaften vorstellen zu können, durch die er gerade kutschiert wird, ist der Phantast Johann Paul Friedrich Richter denn doch viel (allerdings nur) in deutschen Gegenden gereist.

Aber in seinen Romanen & Erzählungen haben seine deutschen Landschaftserfahrungen keine wiedererkennbaren Spuren hinterlassen. Wo er, wie im „Titan“, die Isola Bella en détail beschreibt, so dass man sie in ihrer realen Gestalt vor sich sieht, hat er sie aus Bildern & Texten imaginiert, ohne sie je am Ort & mit eigenen Augen gesehen zu haben. Das trifft natürlich auch für „Giannozzos“ Luftschiffereien zu, in denen Jean Paul die Erde betrachtet, als sei er nicht nur ein Ballonreisender (der er nie war), sondern sogar ein Astronaut.

JeanPaulSeine frühen Reisen (bis zum Studium nach Leipzig & der Flucht von dort vor den Gläubigern) unternahm der bitterarme Richter allein oder mit Freunden per pedes. Erst nachdem ihn Karl Philip Moritz entdeckt & seinen ersten Roman bei einem Berliner Verleger untergebracht hatte, konnte Jean Paul seine erfolglose satirische „Essigfabrik“ aufgeben & bald darauf als der berühmte & (vor allem von Leserinnen) geliebte Dichter des „Hesperus“ in der Kutsche in „die heilige Stadt Gottes“ reisen, wie er das von Herder, Wieland, Goethe & Schiller bewohnte Weimar nannte. Dort fand der hinterwäldlerische Provinzler aus Hof freundschaftliche Aufnahme bei dem von ihm verehrten Herder & bei dem menschenfreundlichen Wieland. Bei Goethe herrschte die übliche Distanz & bei Schiller hinterließ der zeitgenössische Erfolgsautor nur Kopfschütteln. Dem berühmten Dramatiker erschien der vertrackte Epiker aus Hof, wo sein Mutter lebte, „wie einer, der aus dem Mond gefallen war“, wie er dem zustimmenden Weimarer Geheimrat in den Frauenplan schrieb.

Bis nach Berlin (& zur wunderhübschen Königin Louise) ist er dann sogar nach Norden vorgestoßen – auf seinen „Nomadenzügen“, wie der umschwärmte Junggeselle seine Reisen in Mitteldeutschland nannte. Erst als die selbst ernannte „Wanderatte“, die ihre Unstetigkeit mit dem Schicksal des „Ewigen Juden“ verglich, in Berlin als 37-jähriger Schriftsteller die 15 (!) Jahre jüngere Caroline Mayer überraschend heiratet – mit „der er den Rest seines Lebens eine Wohnung teilen wird“, bemerkt süffisant Dieter Richter – steuert der unruhige Geist eine feste Bleibe für seine Familie & die sich daraus ergebenden 3 Kinder an. Da er das Flachland (um Berlin und Leipzig) so hasste (wie Arno Schmidt es liebte) & mit Großstädten nichts im Sinn hatte, die ihn von der geliebten Schreibarbeit ablenken könnten, wenngleich er dort adäquate intellektuelle Gesprächspartner vorfand, die er suchte, bewegte er sich im neuen Jahrhundert über die Residenzstädte Meiningen & Coburg in seinen jedoch bald auch verhassten, weil geistlosen Ruhesitz Bayreuth zu, wo er 1825 auch gestorben ist. Er folgte den drei Bs: „Bier, Bücher, Berge“. Das fand er in Bayreuth

Den Dauerwohnort, in dem er allerdings 7 (!) mal umgezogen ist, floh er jedoch öfter, seit er ihn – nicht zuletzt des „bitteren“ fränkischen Biers wegen – 1804 gefunden hatte. Es waren Haus-Fluchten vor der wesentlich jüngeren „putzseeligen“ Gattin (Vergl. Lenette im „ Siebenkäs“) & Ausflügen zum Genuss seines Ruhms, die ihn u. a. nach Heidelberg, Nürnberg, Frankfurt am Main, Bamberg, Hof – aber leider auch nach München & Stuttgart führten, welch Letztere er nicht mochte. Wenn er die Wohnung der Obhut seiner Caroline hinterließ, hat er ihr jedes Mal „Verhaltensregeln“ während seiner Abwesenheit auferlegt & ihr vor allem eingeschärft, nichts in seinem Arbeitszimmer zu verändern, bzw. im Brandfall auf jeden Fall erst einmal seine Notizhefte zu retten.

Denn in diesen (bis heute nur teilweise publizierten) Einfalls-Schatzkammern hatte er die Keimlinge seiner literarischen Phantasieproduktion eingelagert, an deren Nachschub & Herstellung er mit Alkohol mehr noch als mit Kaffee exzessiv arbeitete. Erst mit 46 Jahren wurde der bis dahin freischaffende Schriftsteller mit der jährlichen Pension von 1000 Gulden, die ihm 1809 der Regensburger Fürstprimas von Dalberg zusprach, finanziell abgesichert (Auch darin ist ihm der Bargfelder Einsiedler gefolgt, der seinen Fürstprimas in J. Ph. Reemtsma fand.)

Neu war mir auch, dass Jean Paul Frankfurt a.M. als Stadtlandschaft sehr mochte (wie Richter nachweist). Hier wurde dann dem gerade Verstorbenen, der in seinem letzten Lebensjahrzehnt „aus der Mode“ gekommen war, von Ludwig Börne der schönste Nachruf gesprochen. In seiner „Denkrede auf Jean Paul“ prophezeite Börne, dass J. P. am Eingang des 20. Jahrhunderts geduldig stehe & „darauf warte, dass sein schleichend Volk ihm nachkomme“.

So ist es denn auch geschehen, wenn man Stefan Georges Edition der großen jeanpaulinischen Traumlandschaften, Max Kommerells Monographie dafür nimmt oder besser noch: den Beginn von Eduard Berends editorischer Wiedererweckungsarbeit.

Aber erst in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begann die Neuerschließung des ganzen labyrinthischen Jean-Paul-Universums.

Dieter Richters Handreichung mit der aus Briefen & Berichten kompilierten & mit zeitgenössischen Illustrationen wohlversehenen „Reise-Biographie“ des „häuslichen Schaltiers“ steht nun zusammen mit den emphatischen Überlegungen Navid Kermanis in seiner Frankfurter Poetikvorlesung „Über den Zufall“ am Beginn einer Neubeschäftigung mit dem unvergleichlichen Jean Paul im Jahr, in dem wir der 250. Wiederkehr seines Geburtstages (in Schwarzenbach an der Saale) vielerorts gedenken.

Wolfram Schütte

Dieter Richter: Jean Paul. Eine Reise-Biographie. Berlin: Transit Verlag 2012. 144 Seiten. Zahlreiche Schwarzweißabbildungen. 16,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Porträt: Bildrechte/-herkunft: Das Gleimhaus, Halberstadt. Foto: Ulrich Schrader.

Tags : ,