Geschrieben am 15. Januar 2014 von für Bücher, Litmag

Daniel Galera: Flut

Daniel_Galera_FlutEin Leben in der Unbehaustheit

– In seinem ersten auf Deutsch erschienenen Roman schickt der Brasilianer Daniel Galera seinen Protagonisten auf eine gefährliche Suche nach dem verschwundenen Großvater, die auch zu einer dramatischen Erfahrung des eigenen unbehausten Seins wird. Von Karsten Herrmann

Nachdem sein Vater sich erschossen hat, um seinen weiteren körperlichen Verfall nicht weiter erleben zu müssen, zieht Galeras namenloser Ich-Erzähler zusammen mit dem geerbten Hund Beta von Porto Alegra in das Küstenstädtchen Garopaba. Er will das Schicksal seines Großvaters aufklären, der hier vor vielen Jahren spurlos verschwand und angeblich ermordet wurde. Der Ich-Erzähler ist dabei durch eine „Perinatale Hypoxie“ gehandicapt, durch die er keine Gesichter wieder erkennen kann: „Nichts geht verloren, außer den Gesichtern“.

Er zieht in ein Haus direkt am rauschenden Atlantik, lässt sich auf das Leben in dem in der Nachsaison ruhigen Badeort ein, lernt Freunde kennen, plauscht mit den Fischern und fährt mit ihnen zum Harpunenjagen auf das raue Meer. Als sein Geld zu Neige geht, nimmt er, der frühere Triathlet, für den das Schwimmen eine eigene Lebensform ist, einen Job als Schwimmtrainer an. Nur langsam beginnt er mit den Recherchen nach seinem Großvater und findet sich alsbald in einer misstrauischen und bedrohlichen Umgebung wieder.

Hautnah ist Daniel Galera an seinem Protagonisten dran und spürt seine merkwürdig ziellosen Suchbewegungen feinfühlig nach. Hyperrealistisch erzählt er von einem Leben in all seiner Alltäglichkeit und breitet es vor dem Leser detailgenau aus – ganz banal, ganz zärtlich, ganz zweifelnd. Wir lernen einen Menschen kennen, der keine existentielle oder materielle Rückversicherung für sein Leben hat und von keinen klaren Zielen getrieben ist. So nimmt er das Leben, wie es sich ihm anbietet und lebt den Moment.

Schließlich bricht Galeras Ich-Erzähler zu einer odysseehaften Wanderung an der Atlantikküste auf, die ihn nicht nur an das Ziel seiner Suche, sondern auch in höchste Todesgefahr bringt.

Daniel Galeras „Flut“ ist, wie der Titel vermuten ließe, kein rauschhafter und überwältigender, sondern ein breit dahin strömender und mäandernder Roman, der eher auf leise Töne und feine Wahrnehmungen setzt.

Karsten Herrmann

Daniel Galera: Flut. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner. Suhrkamp 2013. 424 Seiten. 22,95 Euro.

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