Geschrieben am 1. Oktober 2011 von für Bücher, Crimemag

Daniel Depp: Nächte in Babylon

Bei Psychopaths im Oberstübchen

– Daniel Depp ist der Bruder, na gut, Halbbruder von, Sie wissen schon … Das hat natürlich nichts zu sagen und rein gar nichts damit zu tun, dass sein erstes Buch „Stadt der Verlierer“ (hier bei kaliber38) überhaupt erscheinen konnte, aber liab war’s schon. Der zweite Roman heißt „Nächte in Babylon“ (hallo, Kenneth Anger) und ist auch gar nicht soooo daneben, findet Ulrich Baron.

Daniel Depp heißt nicht nur so, er ist tatsächlich der zehn Jahre ältere Halbbruder von Johnny Depp. Weil man ihm das nicht ansieht – The Scotsman beschrieb ihn als „short, balding, and soft around the edges“ –, musste er in Hollywood Drehbücher schreiben, bis ihm dann der Gedanke mit den Krimis kam. Den Drehbuchschreiber aber kann er in seinem zweiten Roman mit dem kalifornischen Privatdetektiv David Spandau noch weniger verleugnen als im Pilotbuch „Stadt der Verlierer“, und natürlich spielt auch das neue Werk im Filmmilieu. Nur darf Spandau diesmal den großen Betriebsausflug der Traumfabrikanten zum Filmfestival nach Cannes mitmachen.

Daniel Depp (© Foto: ddp)

Statt einer miesepampelige männlichen Diva wie beim letzen Mal soll er nun die betörende Oscar-Preisträgerin Anna Mayhew beschützen, und die findet solchen Gefallen an ihrem Bodyguard, dass sie auch seine körperliche Nähe sucht. Doch wer glaubt, damit wäre quasi alles in Butter, hat nicht mit den erbarmungslosen Gesetzen des Genres gerechnet. Anna nämlich wird von einem psychopathischen Stalker ans Mittelmeer verfolgt, der meint, die Sache mit Spandau sei nur ein schreckliches Missverständnis, das man, wie ein übersehenes Barthaar, am besten mit dem Rasiermesser, aus der Welt schaffen sollte.

Möglichweise gibt das die Gedankengänge jenes Vincent Perec jetzt nicht ganz korrekt wieder, aber wer findet sich schon auf Anhieb im Hirn eines Psychopathen zurecht? Der ist zuvor schon auf  Special losgegangen und hat ihm außer einer größeren Menge Blut auch eine ansehnliche Summe Mafia-Gelder abgezapft, um „seiner“ Anna nach Cannes hinterherfliegen zu können. Special aber ist – wie kommt man sonst zu solchem Namen – ein opernliebender frankophilier afroamerikanischer Zuhälter. Also einer von den Typen, die in amerikanischen Großstädten an jeder Straßenecke lungern, mit ihren Château-Margaux-Buddeln gestikulieren und mit dem Lärm von Puccini-Arien aus ihren iPods die urbane Soundsphäre verpesten. Im Film wäre so jemand nur als Sidekick zu gebrauchen. In Depps Roman ist Special derjenige, der die meisten Rasiermesserstreiche und Kugeln einfängt oder – denkt man dabei an Spandaus Wohlbefinden – auf- und abfängt.

Flüchtige Pointen …

Nun verdichtet sich irgendwie der Eindruck, dass dies eher ein komischer als ein spannender Krimi ist, und, um ehrlich zu sein: Da ist was dran an diesem Eindruck. Spannung und Komik sind hier irgendwie verschwistert. Hätte man „Nächte in Babylon“ etwa nach 70 Prozent der Lektüre im ICE liegen lassen, könnte man sagen, man habe sich glänzend amüsiert, aber was soll’s. Hat man das Buch zu 100 Prozent gelesen, kann man dasselbe sagen, aber wenn man erklären will, was eigentlich so komisch und unterhaltsam gewesen sei, dann stellt man überrascht fest: Die Pointen sind beim Amüsieren rückstandslos verbrannt. Man muss sie sich also schon aufschreiben:

Psychopathischer Stalker mit französischem Migrationshintergrund im Anbahnungsgespräch mit Specials Hure:

„,Wie heißen Sie?‘, fragte Perec.
,Chanterelle.‘
,Pfifferling was?‘ Perec traute seinen Ohren nicht.
,Pfeffer was?‘ sagte sie. ,Nee, das ist Französisch.‘“

Gar nicht unwitzig, käme aber filmisch besser rüber als in Buchform, denn versierte Schauspieler könnten Depps Typen Tiefe verleihen, die sie im Roman nicht gewinnen. Daniel Depp hat das Thema Stalking nämlich auf ziemliche platte Weise inszeniert. Seit Ian McEwans „Enduring Love“ („Liebeswahn“, 1997) liegt die Messelatte aber hier sehr hoch und das ohne Psychokillerei, doch mit subtiler Psychologie. Der wirkliche Liebeswahn nämlich ist verstörender als die überbordende Eifersucht, die in Gewalt umschlägt. Verstörend und kaum zu ertragen ist daran vor allem die vollkommene Unangemessenheit, mit der biedere Mauerblümchen beiderlei Geschlechts zu der Überzeugung gelangen, die Queen Mum, Lady Gaga, der Papst oder man selbst sei ihnen rettungslos verfallen. Solche Menschen brauchen gar kein Skalpell, um einem den letzten Nerv zu rauben, und man könnte sich ja mal einen Krimi vorstellen, bei dem am Ende der liebeswahnsinnige Stalker tot im Hausflur liegt …

Daniel Depps Roman ist hingegen Effekte- und Pointenkino in Buchform. Leicht und locker zu lesen. Noch leichter zu vergessen. Alles andere als ein Meilenstein der Krimigeschichte, aber ein unterhaltsamer Reisebegleiter.

Ulrich Baron

Daniel Depp: Nächte in Babylon (Babylon Nights, 2010) Roman. Deutsch von Regina Rawlinson. München: Carl’s Books 2011. 350 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch mit Leseprobe.

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