Geschrieben am 12. Oktober 2013 von für Bücher, Crimemag

Dan Simmons: Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesaenge von Dan SimmonsAuf hohem Niveau erzählt

– Dan Simmons‘ Klassiker des Genres bleibt nach wie vor aktuell und hochgradig spannend – auch auf philosophischer Ebene, meint Jens Dose.

Beinahe ein Vierteljahrhundert ist es her, dass Dan Simmons (*1948) – eher als Autor des Horror- und Thriller-Genres bekannt – sich mit den „Hyperion-Gesängen“ einen Platz in den Annalen der jüngeren Science-Fiction-Literatur schuf. Die „Gesänge“ sind ein Sammelband und enthalten die beiden Romane „Hyperion“ (1989) und „Der Sturz von Hyperion“ (1990), die nahtlos aufeinander aufbauen. In der fernen Zukunft verortet, sind in dem Buch Dinge wie Sprünge quer durch die Galaxie ohne Zeitverlust oder unabhängig operierende Künstliche Intelligenzen (KIs) zwar an der Tagesordnung, die grundlegenden Probleme bleiben jedoch die gleichen wie eh und je: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Warum tun wir, was wir tun?

Der Ort, an dem die Zeit stillsteht

In eine spannende Rahmenhandlung eingebettet erzählen sieben interstellare Pilger, die unterschiedlicher nicht sein könnten, von ihrer jeweiligen Vergangenheit und den Beweggründen, an dieser Reise teilzunehmen. Unter anderem kommen ein Priester, ein Dichter, eine Privatdetektivin, ein Philosophie-Gelehrter und ein ehemaliger Elitesoldat zu Wort. Überschattet werden diese Erzählungen von der drohenden Invasion einer mysteriösen, vermeintlich fremden Spezies, dem internen Machtkampf der menschlichen Regierung – der sogenannten Hegemonie – mit den KIs und natürlich dem Geheimnis um das Ziel der Pilgerreise: der Planet Hyperion. Dort gibt es einen Ort, an dem die Zeit aufgehoben scheint und wo das ebenso rätselhafte wie monströse Shrike umgeht – bei den verschiedenen Beschreibungen dieses Wesens kommen Simmons‘ Wurzeln im Horror-Metier so unverblümt an Tageslicht, dass der eine oder andere kalte Schauer beim Lesen nicht ausbleibt. Verehrt und gefürchtet bietet es eines der letzten Rätsel der Menschheit. Mit diesem Wesen sind die Schicksale aller sieben Protagonisten in gewisser Weise verbunden. Auf welche Art genau, erfährt man nur nach und nach in Bruchstücken, die für sich allein genommen eher verwirren, als erklären. Nur langsam bekommt man aber eine Ahnung von den einzelnen Verbindungen und Verstrickungen, die den grundlegenden Stoff der Geschichte ausmachen.

Im Nachfolgeroman übernimmt eine der Nebenfiguren aus „Hyperion“ die Hauptrolle. Eine Rekonstruktion des englischen Dichters John Keats, ein sogenannter Cybrid, gibt nun den Protagonisten. Durch seine Augen geschildert wird die ehemalige Rahmenhandlung in den Mittelpunkt gerückt und es entfaltet sich das ganz große Puzzle, das im ersten Buch nur Beiwerk war – das Verhältnis von KIs und Menschen sowie der Konflikt mit externen Bedrohungen. Dem Schicksal der Pilger auf Hyperion folgt man jedoch immer noch in Form von Traum-Sequenzen, die den Cybrid heimsuchen. Irgendwie hängt alles zusammen und baut aufeinander auf…

Philosophie in der Zukunft

Hat man sich durch die rund 1.400 Seiten geschmökert, ist das Puzzle komplett und es entfaltet sich das erstaunliche Ganze mit nicht nur einem Aha-Effekt – mehr wird nicht verraten, denn nur selbst lesen macht schlau. Im Laufe der Bücher tauchen eine erstaunliche Vielzahl von Themen und Problemen auf: Das Verhältnis zu Göttern und Religionen, Philosophie und Dichtung, Extremsituationen von Ethik und Moral, autarke künstliche Intelligenzen, Ökologie und Zeitreisen im Rahmen einer möglichen interstellaren Gesellschaft werden tangiert und ausgiebig diskutiert. Neben großartiger Unterhaltung winkt also auch mächtig Nahrung für das eigene Hirnschmalz.

Was mich persönlich an diesem Buch so fasziniert ist die Erzählweise. Durch die Geschichten der Pilger und ihre jeweilige Verortung im großen Ganzen wird dieselbe Sache aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Einmal in Form eines Reisetagebuchs, danach wie eine Kriminalgeschichte hat jeder Erzähler einen ganz eigenen Charakter. Dadurch erfährt man bisweilen absolut gegensätzliche Standpunkte, die jedoch in gleicher Weise plausibel und begründet sind. Das lädt dazu ein, selbst ein wenig über die eigenen Meinungen und Überzeugungen nachzudenken und man erkennt vielleicht, dass der eigene Blickwinkel nicht immer richtiger ist, als der des potentiellen Gegenübers.

Nicht zuletzt ist es eine ungewöhnlich aufgebaute, gut durchdachte und spannende Geschichte. In meinen Augen sind „Die Hyperion-Gesänge“ ein Beispiel dafür, dass das oft – zu unrecht – belächelte Science-Fiction-Genre auch auf ganz hohem Niveau und mit außergewöhnlichem Tiefgang erzählen kann.

Als Lese-Tipp für Hyperion-Veteranen seien hier noch ein paar spannende Titel des Autors genannt: Zum einen „Endymion“ – im selben Universum wie „Die Hyperion-Gesänge“ angesiedelt. Zum anderen „Ilium“ und der Nachfolgeband „Olympos“. Sie erzählen zwar eine andere, jedoch bei weitem nicht uninteressantere Zukunftsvision: Mit einem faszinierenden Mix aus Homers „Ilias“ und einer gehörigen Portion Simmons’scher Sci-Fi wird hier in drei parallelen Erzählsträngen ein Universum gezeichnet, das einen das Buch nicht mehr aus der Hand legen lässt.

Jens Dose

Dan Simmons: Die Hyperion-Gesänge (Hyperion, 1989; The Fall of Hyperion, 1990). Roman. Deutsch von Joachim Körber. München: Wilhelm Heyne Verlag, 2013. 1406 Seiten, 18,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

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