Geschrieben am 15. Juni 2011 von für Bücher, Litmag

Colson Whitehead: Der letzte Sommer auf Long Island

Ein Meister des Sub- und Kontextes

– „Der letzte Sommer auf Long Island“ des afroamerikanischen Schriftstellers Colson Whitehead ist ein an der Schwelle zwischen Kindheit und Adoleszenz angesiedelter, autobiografisch anmutender Roman, der in unerwartete Textlandschaften führt. Von Karsten Herrmann.

Whiteheads Alter Ego Benji erzählt vom Sommer 1985, den er wie schon viele Sommer zuvor gemeinsam mit seinem Bruder Reggie und seinen Eltern im Ferienort Sag Harbor verbringt. In diesem Jahr kommen seine Eltern jedoch nur noch sporadisch aus Manhattan in das Ferienhaus, und so erlebt der 15-Jährige gemeinsam mit seiner Clique einen Sommer der Freiheit und des sexuellen Erwachens.

Auf den ersten Seiten bringt Whitehead die Magie des Urlaubsorts, die sich ausdehnende Zeit, den Geruch von Meer, Sonne und Sand oder auch die „Unendlichkeit einer Rollschuhbahn“ atmosphärisch dicht herüber. Doch kaum hat der Leser sich auf eine vergnüglich-sinnliche Sommerlektüre voller Abenteuer und Erweckungserlebnisse eingestellt, spielt Whitehead seine auch schon in Vorgängerromanen wie „John Henry Days“ oder „Apex“ kultivierte Lust am Sub- und Kontext aus. Die episodenhaften Erlebnisse des jungen Protagonisten werden so zunehmend überlagert von den Zeichensystemen, Symbolen, Marken und popkulturellen Accessoires der 80er-Jahre – en passant entwickelt sich eine „Gefiedertheorie des sozialen Umgangs. Wenn einem die richtigen Dinge gehörten, gehörte man vielleicht dazu“.

Semiotische Landschaft der 80er Jahre

Whitehead nimmt den oftmals ganz unscheinbar und banal wirkenden Alltag von Benji und seiner Identitätsentwicklung mit soziologischem Blick ins Visier. Er zoomt bis ins kleinste Detail der Gesten, Sprüche und Merkmale und eröffnet verblüffende Bedeutungs- und Interpretationshorizonte – insbesondere auch im Hinblick auf die gesellschaftlich ambivalente Stellung eines Jungen, der einer neuen gehobenen schwarzen Mittelschicht angehört, eine Privatschule besucht und blendende Zukunftsaussichten hat.

Der „Letzte Sommer auf Long Island“ ist so auch weniger eine mitreißende Entwicklungsgeschichte als vielmehr eine rhetorisch brillante und intellektuell anspruchsvolle semiotische Landschaft der 80er-Jahre.

Karsten Herrmann

Colson Whitehead: Der letzte Sommer auf Long Island (Sag Harbour, 2009). Aus dem Amerikanischen von Nikolas Stingl. München: Hanser Verlag 2011. 330 Seiten. 22,90 Euro. Eine Leseprobe (PDF) finden Sie hier, zur Homepage von Whitehead geht es hier.