Eine Reise quer durch die Kriminalliteratur
– Lesen Sie dieses Buch nur, wenn Sie sich ein bisschen mit Krimis auskennen. Sonst geht das Meiste an Ihnen vorbei und Sie finden das Buch noch seltsamer, als es sowieso schon ist. Von Henrike Heiland
Immer, wenn man denkt, es hätte schon alles und jeder ermittelt – vom Frühstücksei bis zum Aal, vom einarmigen Jazztrompeter bis zur selbstmordgefährdeten Kommissarin mit fünf Kindern –, kommt doch noch eine weitere Detektivvariation von irgendwo daher. Colin Bateman stellt uns für seine neue lustige Kriminalromanreihe, die wieder in Nordirland spielt, einen namenlosen Krimibuchhändler mit einer „Kein Alibi“ betitelten Krimibuchhandlung vor. Für den Autor eine prima Gelegenheit, mit seinem Wissen um sich zu werfen. Selbst, wenn man sich auskennt, geht noch eine Menge an einem vorbei, die allerwenigsten werden wirklich jedes Film- und Literaturzitat erkennen, jede Anspielung herauslesen, jedes Vorbild benennen können. Er lässt kein gutes Haar an John Grisham oder James Patterson, parodiert John Banville/Benjamin Black, führt die Agatha Christie-Leserschaft vor, streut nebenbei seine Lieblingsautoren ein, lässt den Ich-Erzähler hier und da in Filmzitaten reden. Der Ich-Erzähler, also der Buchhändler, lebt außerdem noch in einer merkwürdigen Gemeinschaft mit seiner Mutter, die an „Psycho“ erinnern soll, und – ach, wenn man das alles aufzählen wollte, man säße ja morgen noch da.
Jedenfalls, der Buchhändler. Ein Nerd wie Murray Bozinsky von der Riptide-Detektei, ein Phobiker und Hypochonder wie Monk, nur alles ein bisschen schlimmer, ein bisschen mehr Asperger-Syndrom, ein bisschen mehr alles. Dem Buchhändler zur Seite stehen Jeff, Amnesty International-Mitglied und Student, die hübsche Alison aus dem Juwelierladen von gegenüber, eigentlich Comiczeichnerin und des Buchhändlers liebstes Stalkingobjekt seit längerer Zeit, und sämtliche Kunden, die sich auf der Mailingliste von „Kein Alibi“ eingetragen haben. Die Krimibuchhandlung gibt es in Belfast übrigens wirklich, auch unter der im Buch genannten Adresse. Warum ermittelt der Buchhändler eigentlich? Weil der Privatdetektiv von nebenan einfach nicht mehr aufgetaucht ist und seine Klienten in ihrer Verzweiflung im „Kein Alibi“ Hilfe suchen.
Die kleinen Fälle – verschwundene Lederhosen, peinliche Wahrheiten verbreitende Sprayer usw. – übernimmt der Buchhändler gerne. Dazu muss er nämlich nicht mal seinen Laden verlassen. Da reichen ihm das Internet und sein Faible für Mustererkennung. Doch als er eines Tages eine verschwundene Ehefrau in Frankfurt aufspüren soll, reicht es ihm: so nicht. Der verzweifelte Ehemann, Verleger regionaler Dichter, lässt aber nicht locker. Vor allem aber: Alison lässt nicht locker. Und schon findet sich der arme, allergie- und phobiengeplagte Buchhändler mitten in einem Fall um eine jüdische KZ-Musikerin, bei dem der Bodycount nicht ausbleibt.
Das ist keine schlechte Ausgangssituation. Der Autor scheint sich aber so sehr in diese seine neue Figur verliebt zu haben, dass er jede Szene weidlich ausschmücken muss. Anfangs ist das noch wichtig und interessant, später dann verleitet es zum Querlesen. Auch die ermittlerischen Anekdötchen bremsen eher, als zu beschleunigen. Man muss aber sagen, dass jeder Faden am Ende aufgerollt, jede Figur einer Bestimmung zugeführt wird, da merkt man den gewissenhaften und routinierten Krimihandwerker.
Trotzdem: hundert Seiten zu viel, um ein richtig gutes Buch zu sein.
Trotzdem trotzdem: Es ist streckenweise sehr witzig. Man mag diesen durchgeknallten, nervigen Typen, gönnt ihm seine vorwitzige Freundin und will am Ende doch wissen, was da genau los ist, mit seiner Mutter.
Henrike Heiland
Colin Bateman: Ein Mordsgeschäft: Mord, Anarchie und verdammt heiße Hosen. (Mystery Man: Murder, Mayhem and Damn Sexy Trousers, 2009). Roman. Deutsch von Alexander Wagner. München: Heyne 2010. 432 Seiten. 8,99 Euro.
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