Geschrieben am 23. Juni 2012 von für Bücher, Crimemag, Hörbuch

Christoph Gottwald: Blütenträume. Die unglaubliche Geschichte des Geldfälschers Jürgen Kuhl

Der große Coup lauert immer und überall

– Künstler oder Gauner? Das Leben des sagenhaften Kölner Lebenskünstlers, Geldfälschers und Playboys Jürgen Kuhl hat Christoph Gottwald zur spannenden Biografie hochgekocht – nun gibt es auch eine gelungene Hörbuch-Version mit 6 CDs, gelesen von Gerd Köster. Von Peter Münder.

Vier Jahre Knast hatte Jürgen Kuhl im November 2011 in der JVA Euskirchen (als Freigänger) bei Köln abgesessen, nun kann er sich wieder auf extravagante, renditeträchtige Aktivitäten kaprizieren: Ausgefallene Klamotten entwerfen, rassige Sportwagen auf großformatigen Siebdrucken abbilden oder mal wieder ins Spielcasino marschieren und einige Tausender aufs mittlere Dutzend setzen. Aber das Drucken von Dollarnoten dürfte er wohl erst mal vergessen. Dafür war er im Mai 2007 schließlich in den Knast gewandert. Der Kölsche Jung, vom „Spiegel“ in einem großen Porträt 2008 als „Der Warhol der Fälscher“ tituliert, hatte insgesamt 16,5 Millionen Dollar im selbst entwickelten, hochkomplizierten Mehrstufen-Siebdruckverfahren in Top-Premium-Qualität gedruckt. Die Blüten-Qualität fand sogar der für Falschgeld zuständige amerikanische Secret Service beeindruckend. Aber Kuhl konnte keine Abnehmer finden und musste die Blüten ein Jahr lang in einem Container im Hinterhof einlagern. Als ihm schließlich die attraktive „Event-Managerin“ Susanne Wagental („um die dreißig, schlank, sportlich, natürlich, umwerfend blaue Augen“) ein gutes Angebot für die Abnahme von 6,5 Millionen Dollar machte, wurde Kuhl bei der Übergabe von 30 SEK-Männern überwältigt und verhaftet. Die flotte Susanne war verdeckte BKA-Ermittlerin und hatte ihn reingelegt. Das BKA hatte Kuhl lange beschattet und abgehört, der Secret Service war involviert – es war die ganz große Nummer gewesen. Doch für Kuhl war Endstation: Er wurde mit Kabelbindern festgezurrt und wanderte dann in den Knast.

Hot Pants

Dabei hatte der kunstaffine Warhol-Fan ja durchaus eine Ader fürs filigrane Handwerk, für das Schneidern von scharfen Hot Pants, Täschchen und anderen modischen Accessoirs, aber auch für das Imitieren von bekannten Warhol-Motiven wie die „Flowers“, die er nicht signierte und damit auch nicht gefälscht hatte.

Kuhl wollte einfach nur Spaß haben, seine schnelle Mark machen und – ganz im Sinne von Ludwig Erhardts Wirtschaftswunder-Maxime „Hast du was, bist du was“ – vorzeigen, was er so an Status-Symbolen zusammengesammelt hatte: Für den Auto-Fan standen seine Porschewagen natürlich ganz oben auf dieser Erfolgsliste. Aber so schnell, wie er sich die Kohle erarbeitete, so überstürzt war sie auch wieder verprasst – die willigen Mädels wollten verwöhnt werden und der Schampus sprudelte auch reichlich. Vor allem aber war Kuhl auch ziemlich naiv und ließ sich immer wieder von „guten Kumpels“ reinlegen, weil er mit Buchhalter-Stumpfsinn und Bürokratenkram nichts am Hut hatte und diese Aufgaben gern an „hilfsbereite“ Schreibtischtäter übertrug, die ihm irgendeinen Wisch zur Unterschrift unterjubelten – und schwupp hatte er seine eigene Firma verloren und das Konto mit einer halben Million war abgeräumt.

Kein Fall für simple Sozialpädagogen-Raster nach dem Motto: „Schwere Kindheit“, diese auf Sponti-Gratifikation fixierte hedonistische Grauzonen-Existenz.

Quelle: spielbank-bad-neuenahr.de

Blütenträume

Christoph Gottwald, Kölner Krimi-Autor („Tödlicher Klüngel“, „Lebenslänglich Pizza“) und Drehbuchschreiber, hat Kuhls Leben als faszinierendes Stationendrama beschrieben: Er lässt ihn einfach aus seiner Sicht erzählen, wie sich seine Blütenträume so entwickelten. Mit pathetischer Selbstbeweihräucherung oder melodramatischen Rechtfertigungs-Mechanismen wird der Leser verschont – das macht diese Lebensgeschichte so realistisch und wirkungsvoll. Hier eine O-Ton-Kostprobe aus der Kasino-Phase, als Kuhl mit seinem Kumpel Kalli im Kasino von Bad Neuenahr eine Spielberechtigung beantragen möchte und das Prozedere beim Empfangschef zum grotesken Krampf mit komischen Einlagen entartet:

„Ich legte meinen Personalausweis auf die Theke, und Kalli tat dasselbe mit seinem. „Wir kommen aus Köln“, sagte ich. „Zwanzig Minuten haben wir gebraucht mit dem Porsche“, gab Kalli ungefragt zum Besten, schaukelte mit der rechten Hand kurz seine Eier und grinste breit. „Das interessiert uns nicht“, sagte der Casino-Mann nüchtern, schaute auf unsere Ausweise und las unsere Meldeadressen, die sich beide in der City von Köln befanden. „Dann hätte ich gern noch ihre Verdienstbescheinigungen beziehungsweise ihre letzten Steuererklärungen und die Unbedenklichkeitsbescheinigungen Ihrer zuständigen Finanzämter.“ Jetzt hatte es Kalli tatsächlich für Sekunden die Sprache verschlagen. „Das müssen Sie so sehen“, erklärte ich mit Verschwörermiene, aber den ersten Schweißtröpfchen auf der Oberlippe, „wir sind Söhne, wenn Sie verstehen, was ich meine“. „Ich bin auch Sohn“, schnöselte der Mann. „So gesehen sind alle Männer die Söhne ihrer Mütter, wenn Sie verstehen, was ich meine, Herr … eh … Kuhl.“

„Unsere Väter finanzieren meinen Kollegen und mich“, präzisierte ich mit noch einem Fünkchen Hoffnung in der Stimme, „deshalb müssen wir nicht arbeiten und haben auch keine Bescheinigungen“… „Wenn Ihre Väter Sie aushalten, wie Sie behaupten“, sagte der Mann mit der weinroten Krawatte, „dann verfügen Sie doch sicherlich über Belege der regelmäßigen Geldeingänge.“ „Was Schriftliches gibt´s nicht, bei uns geht alles schwarz ab“, erklärte Kalli, dem jetzt alles egal war, „schwarz wie im Negerarsch.“ „Dürfte ich Sie dann bitten, unser Haus zu verlassen?“ „Klar darfst du, du schwanzloser Sesselpuper“, ließ Kalli Dampf ab, nahm seinen Ausweis vom Tresen und stampfte aus dem Raum.

Hans-Jürgen Kuhl (Quelle: wikipedia)

Der junge Jürgen

Gutbetuchter, aber kontaktscheuer Vater: Mehr als zwanzig Minuten habe er den Vater nicht gesprochen, erklärte Kuhl jetzt in einem Interview mit der SZ – zwanzig Minuten in seinem gesamten Leben, wohlgemerkt. Der Fabrikant gesunder Gemüsesäfte versorgte den Sohn mit reichlich Taschengeld, zwei Haushälterinnen gab es auch – so hatte sich der Herr Papa aus dem lästigen Familienzirkus heraushalten können. Und der junge Jürgen konnte  immer frei nach Gusto schalten und walten.

Jürgen Kuhl war eigentlich Foto-Kaufmann, hatte lange und sehr erfolgreich Klamotten entworfen und umgeschneidert, er war auch als Künstler gefragt: Seine D-Mark-Collagen machten Furore und die großformatigen Siebdrucke (3×2 Meter auf Edelstahlplatten!!!) mit Motiven legendärer reinrassiger Sportwagen (Ferrari GTO, AC Cobra, Mercedes Phaeton) waren vorübergehend sehr gefragt. Wie konnte er dann im fortgeschrittenen Alter, er ist Jahrgang 1941, in dieses Metier abrutschen, das schon immer ein beliebtes Betätigungsfeld organisierter Kriminalität war?

Moralprediger, Klappe halten! Es wäre ja so leicht, dem Bruder Leichtfuß oberlehrerhaft vorzuhalten, dass es irgendwann so weit kommen musste – schließlich war der ewige Abbrecher (Schule, Lehre, Routine-Jobs usw.) ja nie an seine Grenzen gestoßen und habe sich immer vor „richtiger“ Arbeit gedrückt. Das stimmt eben nicht ganz, wie Christoph Gottwald in seiner spritzigen, flott geschriebenen Biografie zeigt. Denn Kuhl konnte sich bis zum Exzess in Arbeit knien, wenn sie nach seinem Gusto war: Er malochte fast rund um die Uhr für seine selbstentworfenen Hot Pants, die ihm die erste Million einbrachten, er produzierte begeistert seine Andy Warhol-Kopien und laborierte über ein Jahr lang am richtigen Druckverfahren für die „perfekten“ Hundertdollarnoten.

Schlag nach bei Child …

Kann man dem „Carpe diem“-Lebenskünstler vorwerfen, zu wenig gelesen zu haben? Vom Hardcore-Krimi-Meister Lee Child hat er offenbar nie etwas gehört: Der hatte ja schon 1997 den grandiosen Krimi mit dem knallharten Einzelgänger Reacher „Killing Floor“ (deutsch: „Größenwahn“) und seinen Kampf gegen den Dollarfälscher-Clan der Cliner-Sippe in Georgia veröffentlicht. Und darin genau beschrieben, wie der Cliner-Clan, der das kleine Nest Margrave mit Millionen von gefälschten Dollars überschüttet, die beiden Hauptprobleme  in den Griff bekam: Das Spezialpapier (mit den berüchtigten „Erhebungen“) bestand aus wiederverwerteten gebrauchten Eindollarnoten und die richtige grüne Farbtönung ergab sich aus mehreren Druckvorgängen. Trotzdem Hut ab, dass Kuhl diese Finessen nach jahrelanger Tüftelei selbst hinbekam und seine Dollars auch von den hochkarätigsten Experten normalerweise nie als unechte entdeckt worden wären. Der Liebhaber von Lurexfäden, Prägedruck und handgeschöpfter Bütte ist ja auch, wenn es ihn mal richtig packt, ein waschechter Perfektionist: „Wenn schon falsch, dann richtig“, war seine plausible Devise als Geldfälscher.

Wann endete ein fulminanter Lauf, wann begann die „Seuche“? Das fragte sich Jürgen Kuhl im Lauf seiner Karriere mehrmals. Er hatte sich wohl zu oft auf unzuverlässige „Kumpel“ verlassen und war auch zu oft einer „scharfen Braut“ auf den Leim gegangen. Was er selbst in seinem glasklaren Fazit auch so sieht. Christoph Gottwald stellt diese selbstkritischen Einsichten des Kölschen Warhol in den Wirtschaftswunder-Kontext der Nachkriegsjahre und erweitert diese autobiografische Perspektive auch mit faszinierenden Einblicken ins schräge Kleinkriminellen- Milieu.

Jedenfalls habe ich diese „unglaubliche Geschichte des Geldfälschers Jürgen Kuhl“ (Untertitel) in einem Rutsch durchgelesen.

Die gerade veröffentlichte Audio-Version mit sechs CDs, gelesen vom Kölner Sänger und Schauspieler Gerd Köster, überzeugt durch den souverän durchgehaltenen unaufgeregten Erzählton, der blitzartig in den Kölschen Milieu-Jargon umschlagen kann und dennoch auf billige Effekthascherei verzichtet. Man spürt, wie es kocht unter dieser gelassenen Biedermann-Pose, wie der Künstler sich endlich aus dem Kölschen Kleinbürgerkäfig befreien will und sich damit erst recht den letzten Freiraum nimmt. Ja, die Kölschen Blütenträume – wenn sie erstmal reifen, dann sind sie  fast unwiderstehlich!

Peter Münder

Christoph Gottwald: Blütenträume. Die unglaubliche Geschichte des Geldfälschers Jürgen Kuhl. Köln: Du Mont 2010. 349 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Audio CD (6 CDs, Gesamtspielzeit 407 Min ), gelesen von Gerd Köster. Random House Audio 2012. 24,99 Euro. Verlagsinformationen zur CD-Edition.

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