Geschrieben am 14. März 2007 von für Bücher, Litmag

Christian Jostmann: Nach Rom zu Fuß

Man pilgert wieder

München – Rom. Das ist schon mit dem Auto eine lange Tagesreise. Aber was erfährt man im Blechkasten sitzend und schwitzend von der Landschaft, den Bergen, den lokalen Sehenswürdigkeiten, dem Reiz der Ebenen südlich des Brenners?

„Wo alles zu viel fährt, geht alles sehr schlecht“, heißt es bei Johann Gottfried Seume, dem Säulenheiligen’ aller Wanderer, „man sehe sich nur um! So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt.“ Also, raus aus dem Wagen, sich gutes Schuhwerk besorgen und sich dann auf die Strassen und Feldwege begeben. Dass man dabei aber auch verdammt viele Qualen und Verzweiflungen erleben kann, schildert Christiane Jostmann in seinen Aufzeichnungen über eine „Fusswanderung“ nach Rom.

In guter münchner Pilgerstradition läßt er sich von den Mönchen einen „Pilgerschein“ ausstellen. Ein letztes Hochamt in St. Michael. Ein letztes Weizen im Bräuhaus. Dann der Abschied von der Stadt, immer der Isar entlang Richtung Rom. Aber schon sehr schnell bemerkt der ‚aufgeklärte Pilger’, wie Jostmann sich selber einmal definiert, wie mühselig, auch langweilig eine solche Wanderung sein kann. Man muß sich mit sehr irdischen Nöten und Qualen herumschlagen. Von Pilgerromantik weit und breit keine Spur. Besonders schwer ist es immer wieder, sich ein Lager für die nächtliche Ruhe zu suchen. Und hat man schließlich eine Hütte in den Bergen gefunden, muß man sich mit barbarisch schnarchenden anderen Gästen herumschlagen. Ehre sei Gott in der Höhe? Nein danke. Aber immerhin wird man am Tage auch durch wunderbare Landschaftspanoramen und erholsamer Stille entschädigt. Später dann aber, der Autor nähert sich der Po-Ebene, „Sonnenstudios, Versicherungsbüros, Zoohandlungen und Cafès mit Leuchtreklamen im Fenster“. Große Transporter brettern mit kriminellen Geschwindigkeiten über die Strassen. Warum tut man sich das an, fragt sich der Autor mehrfach und mit ihm der Leser. Aber dann sind da ja auch noch die vielen zufälligen Begegnungen mit Menschen, die man als Autofahrer niemals getroffen hätte. Mit anderen Wanderern, die sich den Lebenstraum einer Ankunft in Venedig nach einem tagelangen Fußmarsch über die Alpen erfüllen wollen. Mit grantigen, alles andere als christlich gesinnten Pfarrern, die es satt sind, Wanderer zu beherbergen auch wenn sie einen ‚Pilgerschein’ vorzeigen können. Mit Menschen, die auch den Fremden teilhaben lassen an ihrem privaten Unglück. Ganz besonders berührt ist der pilgernde Autor von dem Schicksal eines Mannes, der ihn irgendwo in der Ebene zwischen Mantua und Ferrara mit großer Gastfreundschaft empfängt. In nur wenigen Wochen ist ihm seine ganze kleine Familie, Tochter, Sohn und Frau weggestorben. Das Kapitel, in dem der vielfach geschlagene Guido dem Autor seine Lebensgeschichte ausbreitet, gehört zu den bewegensten Momenten des gesamten Pilgerwegs. Das ihm von Guido geschenkte Tennishemd seines verstorben Sohnes begleitet ihn dann bis nach Rom.

Diese Achtung kleiner Gesten und Wahrnehmung verlassener Details am Rande des Wegs, macht einem den Autor sympathisch. Man schließt sich ihm gerne an auf seinem Weg nach Rom, der città eterna, der ewigen Stadt. Man ist neugierig, was auf der nächsten Etappe seiner Wanderung geschieht. Man leidet mit, wenn Christian Jostmann mal wieder am Abend besorgt nach neuen Unterkünften für die Nacht sucht. Wen wird er dort treffen, was wird er Neues erfahren von dort lebenden Menschen, von der Geschichte des Ortes? Aber trotzdem ist man zum Schluß auch froh, zusammen mit dem Autor nach einer wochenlangen Wanderung endlich in Rom angekommen zu sein. Große Achtung wird man zeigen vor der Leistung des Autors, auf sämtliche Annehmlichkeiten modernen Reisens zugunsten einer Pilgerwanderung im alten Stil verzichtet zu haben. Schade nur, daß man von dem Wissen des Historikers Jostmann nur gelegentlich etwas spürt. Etwa dort, wo er den Lesern von der Geschichte eines Soldatenfriedhofs im Apennin erzählt oder die mentalen Hintergründen des italienischen Marienkultes zu verstehen versucht. Die Passagen über die Zänkereien mit einer unterwegs kennengelernten deutschen Wanderin hätte dem Autor ein guter Lektor streichen müssen. Manchen philosophischen Flachsinn kann man nur mit dem Delirium eines Wanderers am Ende eine langen, anstrengenden Tages erklären: „Wie kalt wäre die Welt ohne die Frauen“. Gut ist es auch für zukünftige fromme Pilger zu wissen, daß es im Gasthaus am Gipfel des Rittner Horns ( in Südtirol ) eine Tafel Ritter Sport zu zwei Euro das Stück zu kaufen gibt. Trotzdem sollte man sich mit dieser wohlfeilen Kritik an den Aufzeichnungen von Christian Jostmann etwas zurückhalten. Gerade wegen seiner gelegentlich kauzigen Art hat dieses Buch auch etwas wunderbar Anachronistisches. Oft wird der Autor von Autofahrern gefragt, ob er denn „verrückt“ sei, den langen Weg von Muenchen nach Rom zu Fuß zurück zu legen. Vielleicht. Aber man koennte ja auch neidisch auf ihn sein, weil sich ein Wanderer ja immer auch einige Grade näher an der „ursprünglichen Humanität“ befindet.

Carl Wilhelm Macke

Christian Jostmann: Nach Rom zu Fuß. Geschichte einer Pilgerreise, C.H. Beck, Muenchen, 2007, 221 S.