Geschrieben am 5. November 2011 von für Bücher, Crimemag

Christian Försch: Acqua Mortale

Mehrwert & Nebenwirkungen

– Never judge a book by its cover … Ein Paradebeispiel für diese Weisheit ist [[Christian Försch]]s „Acqua Mortale“ – und wie gut, dass Ulrich Noller sich nicht hat abstoßen lassen!

Mit Privatschnüfflern tut man sich im deutschsprachigen Genre schwer, schließlich ist Krimi ja „realistisch“, und wir haben hier nun mal keine Detektivkultur. Alle möglichen Ersatzkonstruktionen müssen herhalten, bevorzugt Journalisten, liegt ja auf der Hand. Auch wenn wir nicht nun auch nicht gerade eine investigative Publikationskultur haben, aber das ist eine andere Geschichte …

Dass man trotz solcher Voraussetzungen heutzutage noch einen originellen „Privatdetektiv“ aus dem Mediensektor erfinden kann, beweist Christian Försch in seinem Roman „Acqua Mortale“: Sein Held und Ermittler ist Radiomann und das hatten wir noch nicht mal bei Clemens Stadlbauer. Kaspar Lunau heißt er, ein etwas ermatteter Anfangsvierziger, der früher mal bissig und investigativ war, während er heute in der konformer werdenden öffentlich-rechtlichen Radiolandschaft eher frustriert und müde vor sich hinwerkelt …

In genau dieser Situation erreicht Lunau ein Anruf aus Norditalien. Amanda Schiavon, eine junge Frau aus Ferrara hat sich ausgerechnet ihn auserkoren, um den Tod von Marco Clerici aufzuklären. Marco war Amandas Freund, unter merkwürdigen Umständen kam er im Polizeigewahrsam um Leben, offizielle Diagnose: Kreislaufkollaps durch Drogenkonsum. Merkwürdig nur, dass sein Körper Wunden und Hämatome aufwies, Nebenwirkungen also, die auch beim Inanspruchnehmen exotischer Rauschmittel eher selten und wenn, dann indirekt auftreten …

Verdichtung

Etwas an diesem Anruf berührt Lunau irgendwie, er hat sowieso ein paar Tage Luft, also kann er auch nach Ferrara reisen, um zu schauen, was es mit Marco und Amanda auf sich hat. Kaum dass er mit den Recherchen richtig angefangen hat, wird der Journalist Opfer eines Mordanschlags. Das bringt Leben ins eingerostete Publizistendasein. Und damit beginnt eine ganz andere Geschichte, die tief hinein führt in die italienische Gesellschaft und Geschichte …

Es steckt viel drin in dem reichen Stoff, den Christian Försch in „Acqua Mortale“ zum Kriminalroman verdichtet hat: Ortskenntnis – der Autor lebt selbst in Ferrara. Genauigkeit – jeder Satz, jede Wendung ist exakt gesetzt. Sorgsamkeit, vor allem in der Figurenzeichnung, und das alles wirkt sehr authentisch. Geschichte: die der Region, aber auch die deutsch-italienische. Politik, denn der Roman zeichnet das Sittenbild einer Kleinstadtgesellschaft im Bann der Lega Nord. Alles zusammen fügt sich zu einer überlegt erzählten, kompetenten Story samt Mehrwert und Nebenwirkungen.

Kein Italo-Kitsch …

Und dann sind da die vielen verschiedenen Töne und Klänge, wenn Christian Försch geschickt und wortgewandt das in Worte zu kleiden versucht, was Lunau bei seinen Recherchen hört und auf Band bannt. So werden letztlich alle Sinne angesprochen – wenn auch ganz anders, als man das von vergleichbaren Geschichten kennt: „Acqua Mortale“ ist ein kluger Kriminalroman, dessen Autor in seinem Italien durchaus auch schwelgt, dabei aber immer wach und aufmerksam bleibt, so dass er nicht dem Italo-Kitsch verfällt, den man aus toskanischen Kriminalromanen deutscher Machart so kennt.

… nur auf dem Cover

Ärgerlich ist angesichts all dessen allerdings die Covergestaltung im Stil pastellfarbener Tourismusklischees. Dieser unfassbare Griff ins Klo kann dem Produkt eigentlich nur schaden: Kunden, die eine der üblichen Trala-Geschichten mit pittoreskem Azzuro-Hintergrund erwarten, werden sich angesichts der Ernsthaftigkeit des Autors verschaukelt fühlen; Käufer, die ernsthafte Genreliteratur suchen, werden dieses Buch freiwillig noch nicht einmal mit spitzen Fingern anfassen. Schade, denn ein spannender Newcomer der Krimiszene könnte damit von Beginn an Schaden nehmen.

Ulrich Noller

Christian Försch: Acqua Mortale. Roman. Berlin: Aufbau Verlag 2011. 444 Seiten. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Tags :