Geschrieben am 6. März 2010 von für Bücher, Crimemag

Charles Todd: Flügel aus Feuer

Dialogschlacht in der Nachkriegszeit

Es gibt Dinge, für die muss man in der richtigen Stimmung sein. Sex zum Beispiel. Oder Charles Todd. Diese vollkommen inadäquate, reißerische und respektlose Analogie reicht übrigens noch weiter: Wenn man nicht in Stimmung dafür ist, wird es arg zäh. Aber manchmal kommt es dann doch noch ganz unverhofft zum Höhepunkt, und man schläft ein bisschen versöhnter ein. Henrike Heiland war mutig …

Charles Todd ist ein amerikanisches Autorengespann, bestehend aus Mutter und Sohn. Ihre Vorliebe gilt der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Inspector Ian Rutledge, der im Krieg schwer verwundet wurde und seitdem die Stimme des schottischen Soldaten Hamish hört, den er wegen Befehlsverweigerung erschießen lassen musste, ermittelt im Auftrag von Scotland Yard. Dort hat er einige Neider, besonders in den höheren Rängen, weshalb man ihm gerne mal die weniger attraktiven Fälle irgendwo weitab von London auf dem Dorf überträgt. Aktuell ist es eine Art Jack-the-Ripper-Fall, auf dem die Londoner Detectives herumkauen. Und damit Rutledge ihnen nicht die Show stiehlt, schiebt man ihn in ein Küstenkaff in Cornwall ab.

Sehr viele Geschwister

Dort geht es um einen Doppelselbstmord der Halbgeschwister Olivia und Nicholas und einen Unfall mit Todesfolge. Das einzig Auffällige ist erst mal, dass alle Verstorbenen miteinander verwandt waren. Na ja, und dass es in dieser Familie, bestehend aus einer etwas unübersichtlichen Zahl an Geschwistern, Halbgeschwistern, Stiefgeschwistern und sonst wie Anverwandten, schon immer recht gerne auf ungewöhnliche Art gestorben wurde.

Rachel, die Cousine der drei erst kürzlich zu Tode Gekommenen, findet, dass da was nicht ganz astrein ist. Ihr Unwille, an den Doppelselbstmord zu glauben, rührt allerdings vorrangig daher, dass sie ganz schrecklich in Nicholas verliebt war. Seinen Tod kann sie nun nicht recht ertragen. Für Rutledge zunächst kein wirklich gutes Material, mit dem er arbeiten könnte. Der Fall allerdings hat insofern eine gewisse Brisanz, als die verstorbene Olivia sich als eine der meistgefeierten zeitgenössischen Dichterinnen entpuppt hat; im Übrigen eine Lieblingsdichterin von Rutledge, deren Poesie ihm manch schwere Stunde an der Front erleichtern konnte.

So beschließt Rutledge also, noch ein bisschen länger in Cornwall zu bleiben, auch wenn absolut nichts darauf hindeutet, die Selbstmorde könnten etwas anderes als Selbstmorde gewesen sein, oder der anschließende Unfall Stephens etwas anderes als ein Unfall. Bis ganz unerwartet Stiefbruder Cormac sich zu Wort meldet und behauptet, Olivia sei eine Mörderin gewesen. Als Kind hätte sie ihre Zwillingsschwester ermordet. Und von da an findet Rutledge überall kleine Zeichen, die diesen Verdacht nicht nur erhärten, sondern auf ein tiefschwarzes Familiengeheimnis verweisen.

Reden, reden, reden …

Letztlich wird in Flügel aus Feuer nicht mehr als die komplizierte und tragische Geschichte einer Familie erzählt. Das könnte an sich ja ganz spannend sein. Leider gelingt es den Autoren nicht, die Figuren zum Leben zu erwecken, ganz egal, ob diese zum Zeitpunkt der Handlung schon verstorben oder noch quietschlebendig sind. Zum Teil liegt das auch an der Erzählperspektive. Man ist nicht immer, aber meist bei Rutledge und bekommt die Figuren über ihn beschrieben.

Na ja, sehr viel beschreibt er da nicht, muss ja auch nicht, aber es transportiert sich leider nicht recht. Weiteres Manko sind die unendlichen Dialogszenen. Wäre der Roman ein Hörspiel, könnte man den Erzähler gleich weglassen, der hat eh nicht so viel zu melden. Rutledge geht eigentlich fast nur herum und redet. Und wenn schon mal für kurze Zeit seine Perspektive in ein, zwei Sätzen durchbrochen wird, dann erfährt man auch nur, was die Person, mit der er gerade redet, über ihn denkt. Gleich mehrmals quetscht der Inspector die Dorfbevölkerung aus, und man kann sich als Leser wirklich glücklich schätzen, dass die Generalbefragung der Dorfbewohner, die Rutledge am Ende dann noch einmal ganz konzentriert durchführt, nur angedeutet, nicht aber protokollartig wiedergegeben wird. Da hat man noch mal richtig Glück gehabt.

Zäh!

Kurz gesagt: Es passiert nichts. Es wird nur geschwätzt und spekuliert und über Leute diskutiert, die man als Leser nur dem Namen nach kennt. Erst zum Ende hin, also ungefähr dann, wenn man grob verstanden hat, wer mit wem verwandt ist und warum, wenn man sich so ungefähr ein Bild von den Charakteren machen konnte, kommt Stimmung auf.

Zuvor stolperte man noch leicht entnervt hinter Rutledge durch ein hübsches kornisches Dörfchen, malerisch am Meer gelegen, wo von Blumen und friedvoller Dorfgemeinschaft die Rede war und es eigentlich nur dann regnete, wenn Rutledge schlechte Laune hatte. (Okay, die hat er recht oft, dazu dann noch die mauligen Einwürfe Hamishs, deren Sinn in zwei von drei Fällen mal dahingestellt sei, aber es regnet wirklich nur, wenn die Laune richtig, richtig schlecht ist.) Das Ende allerdings zieht mit einem gewaltigen Gewittersturm auf (was dann so viel heißt wie: Achtung, Gefahr für den Helden!) und mündet in einem so gar nicht zum Rest des Buches passenden Actionfinale, was immerhin den Vorzug hat, dass sich das Lesetempo von matten 20 S./h deutlich erhöht. Aber so richtig versöhnt es dann doch nicht mit den vielen, vielen Dialogszenen von Figuren, die man sich nur widerstrebend merken mochte.

Dass das Gespann Charles Todd schreiben kann, sei hier nicht angezweifelt. Olivias Gedichte sorgen für Atmosphäre, das einsame Haus der Familie draußen am Meer, das einst mit so viel Leben gefüllt war, lässt die Gedanken schweifen, und die frühen 20er-Jahre sind eine interessante Kulisse, auch wenn diese in Flügel aus Feuer doch mehr behauptet als bedient wird. Ab und an rutscht den Todds zwar die Feder aus und es wird auf eine holzschnittartige Tour etwas arg theatralisch, wenn zum Beispiel Rachel von jetzt auf gleich beschließt, Rutledge zu hassen, da gibt es schon so ein paar Stellen, die man eher bei Diana Gabaldon erwarten würde. Aber das sind nur kleine Ausrutscher. Ansonsten merkt man schon, dass es hier um gute alte englische Krimitradition geht, wo ein Motiv noch ein Motiv ist, und wo der Inspector noch mit viel guesswork, Instinkt und Verstand ans Ziel kommt statt mit Fasern und diesem mikroskopisch kleinen Zeugs. Aber ein bisschen zäh ist’s dann doch geraten, alles in allem.

Henrike Heiland

Charles Todd: Flügel aus Feuer (Wings of Fire, 1998). Roman.
Aus dem Englischen von Markus Knop.
München: Heyne, 2009. 384 Seiten. 8,95 Euro.
(Erstausgabe erschienen 2000 bei Goldmann unter dem Titel ,,Englisches Requiem“)