Geschrieben am 16. April 2011 von für Bücher, Crimemag

Charles Manson: Meine letzten Worte

Ich mag ihn

Auf der Skala der „beliebtesten“ Mörder steht Charlie Manson sicher ganz weit oben. Ganz in der Nähe von Hannibal Lecter, so möchte man beinahe meinen, wenn man Michal Welles Devotionalie liest. Frank Göhre hat sie für CrimeMag gelesen. Und ist ziemlich angefressen …

„Hör mir zu, Frau, ich erzähl dir jetzt mal was … Bitte versuch, mich zu verstehen … Ich will dir einen Rat geben … Schreib das Buch, verdammt noch mal. Bring es endlich raus.“

So beschwört Charles Manson, 76, „des Mordes für schuldig befunden“ und, nach Aufhebung der Anfang der Siebziger in Kalifornien noch damit verbundenen Todesstrafe, zu lebenslänglicher Haft verurteilt, die israelitische Journalistin Michal Welles.


Zur Erinnerung. Im Sommer des Jahres 1969 schickte der mit einer Gruppe jugendlicher Ausreißer die subkulturelle Szene Kaliforniens durchstreifende Charlie „Man Son“ (der „Menschensohn) seine „Family“, die Strand-Buggy-Streitmacht, in die Beverly Hills Villen der Reichen und Schönen, um Blut fließen zu lassen. „Die Zeit für Helter Skelter ist gekommen“, verkündete er.

Die hochschwagere Sharon Tate und Jay Sebring

Die Opfer waren der Berufsmusiker und Dealer synthetischer Drogen Gary Hinman, der Hairstylist Jay Sebring, der Schauspieler und Schriftstelle Wojtek Frykowski, die Erbin eines Kaffeeimperiums, Abigail Folger, die im neunten Monat schwangere Ehefrau Roman Polanskis, Sharon Tate, ihr Hausmeister Steve Parent und kurz danach noch das Ehepaar Rosemary und Leno LaBianca. Zuletzt folterten, erschlugen und verscharrten die „Gruselgeister“ das Filmdouble Donald Jerome „Shorty“ Shea. An seiner Hinrichtung war die gesamte „Family“ beteiligt.

Die Opfer waren mit Messer malträtiert und gemetzelt worden. Allein bei Sharon Tate und ihren Abendgäste Sebring, Frykowski und Folger wurden insgesamt 102 Stichwunden festgestellt. Auf Leno LaBiancas Bauch ritzten die Killer „War“, an die Wände und Türen waren mit dem Blut der Toten  „Pig“, „Death to pigs“, „Rise“ und „Helter Skelter“ gepinselt.

Sharon Tate, Jay Sebring, Abigail Folger, Voytek Frykowski, and Steven Parent

Den minutiösen Ablauf der Mordnächte und das Davor und Danach hat der Autor und Mitbegründer der Rockband „The Fugs“, Ed Sanders, in seiner Mammutreportage „The Family. Die Geschichte von Charles Manson“ beschrieben (Reinbek, 1995, zur Zeit leider vergriffen und bei Amazon – günstigstes Angebot – nur noch gebraucht für 33 Euro erhältlich).

Ebenso fakten- und kenntnisreich ist der Bestseller des damaligen Staatsanwalts im Manson-Prozess, Vincent Bugliosi, „Helter Skelter. Der Mordrausch des Charles Manson“ (München, 2010)

Das Buch wurde in den Staaten erstmals bereits 1974 veröffentlicht, drei Jahre nach Ed Sanders Publikation. Beide Autoren belegen und halten fest, dass Charles Manson zweifelsfrei nicht nur der Auftraggeber des grausigen Abschlachtens war, sondern zumindest bei den LaBianca Morden und bei „Shorty“ Shea auch selbst mit Hand angelegt hat.  Davon offenbar völlig unbeeindruckt hat sich „an einem kalten Wintertag vor 19 Jahren“ (vermutlich 1989/90) die TV-Journalistin Michal Welles mit einer an Dummheit grenzenden Naivität dem im kalifornischen Staatsgefängnis Corcoran inhaftierten Manson genähert, um ihn mit einer abstrusen „Schweigen der Lämmer“ Variante zu ködern: „Als ich 15 war, hatte meine Mutter einen charmanten und äußerst intelligenten Psychopathen geheiratet, der nach 17 Jahren Haft gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Danach war meine Jugendzeit von verbalen Manipulationen geprägt, die verdecken und rechtfertigen sollten, dass ich missbraucht wurde … Als ich beschloss, Charles Manson kennen zu lernen, verband ich damit tatsächlich die Hoffnung, dass ich durch ihn begreifen würde, wie Männer vom Schlage meines Stiefvaters ticken … Mit diesem Geständnis [des Missbrauchs] begann eine Freundschaft, die mir allmählich den wahren Charles Manson enthüllte …“

Das Ergebnis ihrer zwischen 1990 und 2010 erfolgten Besuche ist das jetzt erschienene Buch „Charles Manson. Meine letzten Worte. Aufgezeichnet von Michal Welles“ – vom Verlag „Mit einem Vorwort von Mark Benecke“ versehen, einem Kriminalbiologen, der aufgrund seines schrillen Outfits gern in Talkshows geladen wird und als populärwissenschaftlicher Dampfplauderer bei nicht gerade für ihre Seriosität bekannten Sender wie VOX und RTL II „Medical Detectives“ und „Mysteriöse Todesfälle“ kommentiert. Er bescheinigt der Autorin „ein richtig gutes Buch“ vorgelegt zu haben. „Wirklich.“ Denn: „Eins ist Manson: Am Leben. Und weil so viele das nicht sind, entwickelte er sich zu einem wunderbaren, wenngleich auch ziemlich wunderlichen Guru … [er ist] Profi im Persönlichkeitsaufbau anderer. Kein Wunder, dass die Menschen ihn lieben.“

Allein dieses 4-Seiten-Vorwort stilisiert den einst blutrünstigen Killer und nach wie vor notorischen Lügner zu einer letztlich bemitleidenswerte  Person, die man „gerne in sein Haus und Herz lassen und … tröstend in den Arm nehmen [würde].“ – Besten Dank auch!

Michal Welles aber liegt mit ihrer Zusammenstellung der „letzen Worte“ – es sind, das zumindest sei der Protokollantin gedankt, nur 59 Druckseiten – genau auf dieser Linie und lässt sich von dem „traurigen Clown“ belabern: „Hör mir zu, Frau … ich war immer hungrig und allein … alle hatten es auf mich abgesehen … sorge dafür, dass Leute wie du verstehen, dass mir schlimme Sachen zugestoßen sind … sieh mich an … niemand hat mich je geliebt … nie habe ich jemanden angeleitet, gewalttätig zu sein … nichts in mir ist böse oder hat Spaß am Verletzen und Töten … mein Verbrechen bestand darin, dass ich nicht sofort die Bullen anrief … dort wo ich herkomme, tut man so etwas nicht … ich sage dir, Frau, ich habe immer gepredigt, rettet die Erde, das Wasser, die Tiere, die Luft … ich liebe alle, die Frieden wollen.“

Unterm Strich steht – zulässig verkürzt –, Charles Manson ist das bedauernswerte Opfer einer mit Hass erfüllten Gesellschaft, die ihm und seinen Gleichgesinnten auszutreiben versucht, einfach nur sie selbst zu sein. Die israelische Journalistin hat dem ebenso wenig entgegen zu setzen, wie seinen Äußerungen über das von ihm eigenhändig in seiner Stirn eingeritzte Hakenkreuz: „Es bedeutet nichts weiter als Licht und Glück … Das war sozusagen unsere Flagge. Und dann sind diese Morde geschehen, und alle haben das Hakenkreuz gesehen und sofort gewusst, dass es Mördernazis waren. Aber so war es nicht, die Erklärung war nicht richtig. Ihr [die Juden] habt dazu beigetragen, dass Hitler seine Pläne verwirklichen konnte, weil ihr da wart, um euch abschlachten zu lassen … Das war hier [bei den Manson/Family-Morden] genauso.“

Zu diesen 59 Seiten wirren Geschwafels und den 4 Seiten eines ebenfalls ziemlich durchgeknallten Vorwortschreibers kommen 15 Gedichte Mansons, die auch nicht gerade ein Hit sind und ein Anhang mit einigen Prozess-Dokumenten, sowie Erinnerungen von Freunden und der „Family“ unter dem Motto: „Ich mag ihn, das muss ich noch einmal ganz deutlich sagen.“

Und das ist auch die Botschaft des kompletten Buchs, in dem alles andere total ausgeblendet ist.

Frank Göhre

Charles Manson:  Meine letzten Worte. Aufgezeichnet von Michal Welles. Höfen: Hannibal Verlag, 2011. 224 Seiten. 19,99 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch

Homepage von Frank Göhre

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