Geschrieben am 23. Februar 2011 von für Bücher, Litmag

Carolina Schutti: wer getragen wird, braucht keine schuhe

Der Staub der Glasmurmeln

– Allein für den Titel kann man das Debüt von Carolina Schutti lieben. Ihrem Roman stellt sie zwei Betrachtungen voran: Zum einen beschreibt sie, wie enttäuschend der Blick auf den feinen Staub von zertretenen Glasmurmeln sein kann, die das Geheimnis ihres Innenlebens nicht preisgeben; zum anderen beschreibt sie, dass, wer getragen wird, keine Glasmurmeln zertritt: „Wer getragen wird, hat einen Träger.“

Der Wunsch nach einem Träger, nach jemandem, der vor Verletzungen schützt und Verantwortung übernimmt, scheint auch Anna zu erfüllen. Nur scheinbar ist die 18-Jährige selbständig, lebt allein in einer Stadt, hat nur mit einer Tasche und ihrem Stoffhasen den elterlichen Haushalt verlassen, über den wir nur erfahren, dass offenbar häufig Streit herrschte. Sie arbeitet als Kellnerin, hat in der gutmütigen Geschäftsfrau Britta eine mütterliche Freundin. Doch ihre tiefen seelischen Wunden offenbaren sich, als sie sich mit einem Messer die Unterarme ritzt, nicht zum ersten Mal.

Als der deutlich ältere Harald zum Stammgast des Restaurants wird und sich zwischen den beiden eine Beziehung anbahnt, scheint zunächst klar, dass dieser Kerl, der die Fotos seiner Eroberungen in einem Karton aufbewahrt, Annas Zerbrechlichkeit erkannt hat und ausnutzen will. Doch es kommt dann tatsächlich anders: Die beiden unternehmen eine schicksalhafte Wanderung, die Anna an ihre körperlichen Grenzen führt und Schatten der Vergangenheit zeigt.

Zaghafte Poesie

fotowerk aichner

Die Geschichte selbst kommt sehr unspektakulär und unaufgeregt daher. Die Autorin verwendet hierfür drei unterschiedliche Perspektiven. Während sie zunächst von außen auf Annas Alltag blickt, lässt sie später Harald von dem Ausflug erzählen und Anna selbst das Buch abschließen. Harald ist letztlich der verletzten Psyche Annas nicht gewachsen und die junge Frau bleibt mit ihren Ängsten zurück. Caroline Schutti findet für das Trauma, das Anna erlebt hat, poetische Bilder, fühlt sich in beide Figuren überzeugend ein.

Doch bei aller Poesie bringt sie die Geschichte ein wenig zu zaghaft voran, lässt sie Möglichkeiten aus, wahre Empathie für die Protagonisten zu wecken. Trotz der schönen Sprache und der Tragödie, die sich in Annas Kindheit abgespielt hat, plätschert der Roman so dahin und lässt den Leser letztlich nahezu ungerührt.

Frank Schorneck

Carolina Schutti: wer getragen wird, braucht keine schuhe. Salzburg: Otto Müller Verlag 2010. 118 Seiten. 17,00 Euro. Zur Homepage von Carolina Schutti.
Zu einer Hörprobe geht es hier. Eine kurze Leseprobe finden Sie hier.