Drei neue Bücher werfen einen sehr unterschiedlichen Blick auf die Rolle der Frauen in der Kunst. Christina Mohr mit einer thematisch breit gefächerten Bücherschau.
Frauen im „Sturm“
Trotz nahender WM: In Karla Bilangs Buch geht es nicht um Damenfußball. DER STURM hieß die legendäre Kunstzeitschrift, die Herwarth Walden – der seinen Namen übrigens von seiner ersten Ehefrau Else Lasker-Schüler verliehen bekam und eigentlich Georg Lewin hieß – 1910 in Berlin gründete. Walden präsentierte im STURM aktuelle expressionistische und avantgardistische Werke (Zeichnungen, Grafiken, Malerei und Texte von Essays über Manifeste und Theaterskripte) deutscher und internationaler KünstlerInnen und verstand die Zeitschrift als Sammelbecken und Netzwerk der Moderne.
1913 eröffnete Walden den Ersten Deutschen Herbstsalon, danach gab es zahlreiche Ausstellungen in verschiedenen Städten. Was im Lauf der Jahrzehnte aus dem Blick geriet und dankenswerterweise von der promovierten Kunsthistorikerin Bilang wieder ans Tageslicht geholt wird, ist der Stellenwert weiblicher Künstlerinnen im STURM: Frauen spielten keineswegs eine Nebenrolle in Waldens Lebensprojekt. Von Beginn an zählten Else Lasker-Schüler Gabriele Münter, Marianne von Werefkin, Sonia Delaunay und Gela Forster zu den regelmäßigen Beiträgerinnen, oftmals ermutigt und ermuntert von Walden und seiner zweiten Gattin Nell Walden, die mit Fug und Recht FörderInnen weiblicher Kunst genannt werden können.
Man staunt während der Lektüre über die Fülle der Namen – ganze dreißig Künstlerinnen hat Bilang ausgewählt –, die dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Einige sind wohlbekannt, siehe oben, viele andere können nun (wieder-)entdeckt werden. Der Radius des STURM bezog Bauhaus-Künstlerinnen wie die Keramikerin Margarete Heymann-Marks ebenso ein wie schwedische Grafikerin Sigrid Hjertén-Grünewald oder russische Theater-Avantgardistinnen wie Alexandra Exter. Karla Bilangs Porträts sind knapp gehalten, dabei informativ und eindrucksvoll. Mancher Lebenslauf bewegt durch die Verdichtung: das Leben der theosophischen Frauenrechtlerin (kein Widerspruch!) und Zeichnerin Gertrud Ring endet mit 48 Jahren in einem Konzentrationslager; die stilprägende Holzschnittkünstlerin Maria Uhden (ihr Einfluss ist z.B. in den Arbeiten Keith Harings sichtbar) starb mit nur 26 Jahren nach der Geburt ihres ersten Kindes; die expressionistische Maskentänzerin Lavinia Schulz erschoss als 28-jährige erst ihren Lebensgefährten, dann sich selbst.
Selbstredend geht es Bilang nicht vorrangig um Tragik, sondern um die Sichtbarmachung großer Künstlerinnen, deren Werke vor allem im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit verfemt und/oder verschwiegen wurden. Abgesehen von der notwendigen Rehabilitierung der porträtierten Künstlerinnen gelingt es Karla Bilang darüber hinaus, die stilistische Bandbreite der zeitgenössischen Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts zu zeigen.
Karla Bilang: Frauen im „Sturm“. Künstlerinnen der Moderne. AvivA Verlag 2013. 284 Seiten. 19,90 Euro.
Frauen, Kunst und Gesellschaft
Einen beispiellosen Überblick vom Mittelalter bis in die Jetztzeit bietet Whitney Chadwicks Standardwerk „Frauen, Kunst und Gesellschaft“ (Women, Art and Society), das im Originalverlag Thames & Hudson bereits in der fünften Auflage erscheint. Nun ist es auch in – nebenbei sehr guter – deutscher Übersetzung erhältlich und sollte in keinem feministisch-kunstinteressierten Haushalt fehlen.
Die emeritierte amerikanische Kunstprofessorin Chadwick betrachtet unzählige Werke aus allen Epochen und Stilrichtungen unter feministischen Gesichtspunkten neu – und erschafft so einen umfassenden Kanon der Kunst aus weiblichen Händen plus gesellschaftlicher Einordnung, was ein Novum in der Forschung darstellt. Anhand der chronologischen und genre-spezifischen Sortierung kann die Diskussion um Geschlechterrollen in der Kunst bis heute nachvollzogen werden.
So stellte sich die Geschlechterfrage in der Kunst des viktorianischen Englands parallel zu sich anbahnenden Veränderungen in punkto Macht und Klasse: Das ideale viktorianische Heim war makellos sauber, die für die Perfektion erforderlichen DienerInnen sah man nicht. Malerinnen wie Anna Blunden porträtierten erstmals weibliche „niedere“ Berufe wie z.B. die Näherin auf einem Bildnis von 1854. Buchstäblich augenöffnende Beispiele wie dieses finden sich auf jeder der über 500 Seiten von „Frauen, Kunst und Gesellschaft“ und jede einzelne lohnt die Lektüre. Ein umfangreiches Register rundet das Werk ab.
Whitney Chadwick: Frauen, Kunst und Gesellschaft. Übersetzt von Ute Astrid Rall. Deutscher Kunstverlag 2013. 542 Seiten. 29,90 Euro. Zur Homepage von Whitney Chadwick.
Madame de Pompadour und die Macht der Inszenierung
Welche Bedeutung das Porträtgemälde für die Stellung am Hof und in der Gesellschaft hat, wusste Jeanne-Antoinette Poisson, besser bekannt als Madame de Pompadour (1721 – 1764) allzu gut: fast zwanzig Jahre lang lebte sie als offizielle Mätresse von König Ludwig XV. in Versailles und gilt bis heute als eine der mächtigsten Frauen der französischen Geschichte. Ihre Stellung am Hof war einzigartig, aber nicht unumstritten: viele (Frauen und Männer) neideten ihr die Position, nicht selten war sie Intrigen und sogar versuchtem Giftmord ausgesetzt. Gerüchte, sie sei eine verschwendungssüchtige Kurtisane, die dank ihres strategischen Geschicks den willensschwachen König nur ausnutze und taktisch für ihr persönliches Wohlergehen um den Bart gehe, zählten noch zu den harmloseren.
Vor allem aber war Madame de Pompadour eine kluge, aufgeklärte Frau, die sich nicht damit zufriedengab, sich um ihre Toilette und ihr Dekolleté zu kümmern und auf die Gunst des Königs zu warten. Sie war um ihr Ansehen bedacht und wählte beispielsweise die Maler selbst aus, die die höfischen Porträts, also auch ihre, anfertigten. Sie arrangierte die „Settings“, und bestimmte, welche Accessoires auf den Gemälden zu sehen sein sollten: Bücher, Globen, Landkarten, Schreibwerkzeuge als Insignien ihrer Bildung und weitreichenden Interessengebiete sind auf allen Porträts zu sehen; ihre Kleidung und Putz stets in vornehmen, dem Hofleben angemessenen Farben und Dekors.
Die Historikerin und Schriftstellerin Andrea Weisbrod promovierte bereits über Jeanne-Antoinette de Pompadour und erzählt in ihrem neuen Buch anhand acht Porträts der legendenumrankten Französin deren Leben am Hof zu Versailles quasi im Schnelldurchlauf. „Die Macht der Inszenierung“, so der Untertitel des Buches, war Madame de Pompadours augenfälligstes Talent und durchaus ein Merkmal ihrer unbeirrbaren, freigeistigen und emanzipatorischen Haltung.
Christina Mohr
Andrea Weisbrod: Madame de Pompadour und die Macht der Inszenierung. AvivA 2014. 208 Seiten. 19,90 Euro.