Geschrieben am 9. Juni 2008 von für Bücher, Litmag

Budd Schulberg: Was treibt Sammy an?

Der menschliche Makel

In Budd Schulbergs Hollywood-Roman Was treibt Sammy an? verharrt die Kritik der Filmindustrie an der Oberfläche. Von Jörg Auberg

Auf dem Höhepunkt der McCarthyismus zog Budd Schulberg, Sohn des Hollywood- Produzenten B.P. Schulberg und einstiges Mitglied der Kommunistischen Partei, seinen Kopf aus der Schlinge, indem er vor dem Untersuchungsausschuss für „unamerikanische Umtriebe“ als „freundlicher“ Zeuge auftrat und ehemalige Genossen aus der Filmindustrie anschwärzte, die danach auf die „Schwarze Liste“ kamen, während seine Karriere als Drehbuchautor für Filme wie „Die Faust im Nacken“ oder „Ein Gesicht in der Menge“ ihn in neue Höhen führte. Ironischerweise legte er eine Verhaltensweise an den Tag, die er in seinem 1941 erschienenen Roman What Makes Sammy Run?, der nun in einer neuen Übersetzung von Harry Rowohlt vorliegt, kritisiert hatte: Auf Kosten anderer sicherte er das eigene Fortkommen im System, das er vordergründig kritisierte, dem er aber letztlich alles unterwarf.

Der Aufstieg und sein Preis

Der Roman erzählt die Erfolgsgeschichte des jüdischen Emporkömmlings Sammy Glick, der sich früh aus dem ärmlichen Immigrantenmilieu der Lower East Side New Yorks befreit und seine Herkunft abzustreifen versucht. „Ach Jesus“, ruft er an einer Stelle aus, „ständig halten mich alle für einen dieser gottverdammten Itzigs“. Sein alleiniges Ziel ist das gesellschaftliche Vorankommen um jeden Preis, wobei er Menschen benutzt, manipuliert und ausbeutet. Anfangs ist er Bürobote bei einer Zeitung, der binnen kurzer Zeit zum Radiokritiker aufsteigt, um wenig später – mit Hilfe des talentierten, aber hoffnungslos naiven Autoren Julian Blumberg, der ihm unwissentlich die Vorlagen für seine Karriere als Drehbuchautor in Hollywood liefert – als Angestellter der Kulturindustrie zu reüssieren. Obwohl Sammy selbst um über keinerlei kreatives Talent verfügt, steigt er unaufhaltsam in der Hierarchie des Studios vom Drehbuchautoren zum Produzenten auf, da er darauf spezialisiert ist, die Talente anderer für sich auszubeuten.

Sein Aufstieg vollzieht sich in der Zeit, als sich Drehbuchautoren gegen die Studio-Willkür gewerkschaftlich in der Screen Writers Guild zu organisieren versuchen, in die Schulberg als einflussreiches Mitglied des „roten Hollywoods“ in den Jahren zwischen 1933 und 1938 involviert war. Im Roman versucht die erfolgreiche Drehbuchautorin und Salon-Sozialistin Kit Sargent (die nach dem Vorbild der realen Dorothy Parker modelliert ist) die Gewerkschaft gegen den Widerstand der Studios als Schutzbund der Autoren zu etablieren, deren Existenz durch Zeitverträge und ungesicherte Verhältnisse oft prekär war. Letztlich wird die Gewerkschaft jedoch von konservativen Drehbuchautoren unterhöhlt, die im Sinne der Studios die Organisation Screen Playwrights als Konkurrenzunternehmen gründen und die Position der linken Drehbuchautoren unterminieren.

Aus den Scharmützeln geht Sammy, der mittlerweile auf die Seite der Produzenten gewechselt ist, als Gewinner hervor. Er verdrängt die Altvorderen und heiratet die Tochter eines einflussreichen Bankiers, um den weiteren Weg nach oben zu ebnen. Am Ende jedoch muss er den Preis für seinen Aufstieg bezahlen: Seine Ehefrau, welche die Heirat nur als Geschäftsvereinbarung begreift, vergnügt sich mit Liebhabern aus Sammys Angestelltenpool, und der Parvenü findet sich einsam und auf sich selbst zurückgeworfen in einem Herrenhaus von „feudalen Ausmaßen“ wieder, in der Angst gefangen, von einem anderen nachrückenden Ehrgeizling aus seiner eroberten Position verdrängt und aus dem Spiel katapultiert werden zu können.

Kritik und Affirmation

Schulberg rekonstruierte für seine „Rags-to-riches“-Geschichte die Erzählstruktur etwas grob, die F. Scott Fitzgerald für seinen Roman Der große Gatsby kunstvoll entwickelt hatte: Aus der Perspektive des Augenzeugen, des Theaterkritikers Al Manheim, wird der Aufstieg Sammys vom Laufburschen zum mächtigen Filmproduzenten mit einer Mischung aus Ekel und Obsession erzählt, wobei die Perspektive – vor allem in der spät eingeschobenen Vorgeschichte aus Sammys Kindheit im Immigrantenmilieu – brüchig und nicht stimmig ist. Vordergründig agiert Manheim als allseits Bescheid wissender Erzähler, der den Widerling Sammy zu demaskieren sucht; unterschwellig jedoch prägt ihn ein masochistisches Verhältnis zum kulturindustriellen System und zu seinem zynischen, nach den Gesetzen des Marktes operierenden Agenten Sammy: Obwohl er vorgeblich abgestoßen ist, kehrt der kulturkonservative Theaterkritiker immer wieder aus New York nach Los Angeles zurück, lässt sich als zweitklassiger Drehbuchautor vom System korrumpieren, zu dem er vorgeblich in Opposition steht.

Die Schuld für den Verrat der „wahren Kunst“, an der Manheim teilhat, wird nicht den Mechanismen des gesellschaftlichen Systems aufgebürdet, sondern dem menschlichen Makel angelastet, der egoistischen Agenten wie Sammy anhaftet. Selbst in der hölzern wirkenden Liebesbeziehung zwischen Manheim und Carson dominiert diese skrupellose Figur, über die sie permanent reden, als hätten sie keine anderen Gesprächsthemen. Anders als klassische Hollywood-Romane wie Nathanael Wests Der Tag der Heuschrecke oder Fitzgeralds Der letzte Tycoon verharrt Schulberg in einem oberflächlichen Realismus, ohne die fabrikmäßige Bilderproduktion und die Verzerrung von Realität und Geschichte zu thematisieren, und selbst die zentrale Figur Sammy bleibt ohne wirklich schattierte Tiefenschärfe. Am Ende wird er inmitten seines postmodernen Sammelsuriums als banale Existenz bloßgestellt, während Manheim und Carson als positive Agenten der Kulturindustrie in einem Akt der Regeneration die Szenerie verlassen.

Verrat und Betrug

Der Roman erregte nicht allein Hollywoods Produzenten, die sich verunglimpft fühlten, sondern entzündete auch unter linken Autoren in der Filmindustrie eine Debatte, ob der Roman antisemitisch sei. John Howard Lawson, in den 1920ern ein expressionistischer Dramatiker und in den 1930ern der offizielle Ideologe des „roten Hollywoods“, kanzelte Schulbergs Roman als ein „Stück Schund“ ab – eine Meinung, die er noch 1973 in einem Interview als „von der Geschichte bestätigt“ vertrat. Schulberg musste sich vor Lawson und anderen Kommunisten gegen die Vorwürfe, die in seiner Wahrnehmung zu einem Tribunal ausarteten, verteidigen und nahm diesen Umgang mit der künstlerischen Freiheit eines Autors zum Anlass, mit der Kommunistischen Partei zu brechen. In seinem aus dem Jahre 1952 stammenden Vorwort setzt sich Schulberg gegen den Vorwurf des Antisemitismus großspurig und rechthaberisch mit Parallelen zu Richard Wrights Native Son und Gustave Flauberts Madame Bovary zur Wehr.

Trotz allem aber hatte Lawson mit seiner Feststellung recht, dass Schulbergs Werk kein „großer Roman“ sei: Sein Mangel rührt aus der unreflektierten Fixierung des Erzählers, der für sich in Anspruch nimmt, Outsider zu sein, obgleich er stetig bestrebt ist, zum Insider zu werden. Seine Autorität rührt von dem geschriebenen Wort und dem Zeitungsjournalismus her und wird schon unterminiert, als der Parvenü Sammy der aufkommenden Radioindustrie einen größeren Platz im Blatt einräumt, ehe er zu anderen Höhen aufsteigt. Manheim will nicht wie Sammy rennen und nicht am Spiel in Hollywood unter den bestehenden Regeln teilnehmen, verhökert aber die Möglichkeit eines Besseren an den Betrieb in der „Stadt der Illusionen“, um schließlich dem Betrug an sich selbst zu verfallen, das Schlechte sei nur an einzelne Sammy Glicks gebunden. Das System ist lückenlos und lässt nur „Widerständige“ überleben, wenn sie sich eingliedern – wie der selbst ernannte „Hollywood Renegade“ Schulberg an der eigenen Person exemplarisch vorführte.

Jörg Auberg

Budd Schulberg: Was treibt Sammy an? (What Makes Sammy Run?, 1941). Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Kein & Aber 2008. Gebunden. 416 Seiten. 19,90 Euro.