Geschrieben am 13. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Bruno Richard: Desaster

Auf dem Wellenkamm der Zeit

In unserer schnelllebigen Zeit sind die Schreckens- und Untergangs-Szenarien zum Jahrtausendwechsel schon fast wieder vergessen. In seinem Roman „Desaster“ legt Bruno Richard nun einen apokalyptischen Remix dieser vorgeblichen Zeitenwende vor – mit rasanten Breaks und harten Schnitten vor der schillernden Kulisse Berlins trendig inszeniert.

In einer Welt, die zwischen Wahn und Wirklichkeit changiert und wenig sichere Orientierung bietet, sieht sich auch Bruno Richard nicht veranlasst, dem Leser einen roten Faden an die Hand zu geben. In abrupten Szenenwechseln jagt er durch die kontrastreichen Stadtteile und Quartiere Berlins, zappt sich durch sein ausuferndes Roman-Personal und knüpft erste flüchtige Geschäfts- und Liebes-Fäden zwischen ihnen. Wir lesen von Verschwörungstheorien, Zahlenmagie, Hirnchemie, Cyber-Terroristen und Autonomen, die in den neuen Schickeria-Meilen in der Mitte für den „Nobelkarossentod“ und „Stinkbombenanschläge“ sorgen. Die reale (Szenen-) Geographie Berlins mit ihren In- und Out-Kurven vermählt sich mit der Unendlichkeit der virtuellen Räume, aus denen Virenangriffe auf große Internet-Portale gefahren werden und die Prophezeiungen des „Apocalyptic Angel Movement“ dunkel raunen.

Unterschwellig baut sich eine bedrohliche Atmosphäre vor dem Jahrtausend-Countdown auf, doch nur langsam kristallisieren sich erste Zusammenhänge aus dem diffusen Durcheinander: Da scheint vor allen Dingen Rudolf Laimer eine Schlüsselrolle zu spielen, dessen Service darin besteht, „aus Akten, Informationen, Hinweisen und Vermutungen des Klienten eine Geschichte zu machen“. Irgendwie geht es um Edelsteine, Geld und Waffen, um Russenmafia und Revierkämpfe. Nach zwei Dritteln des Romans gibt es dann den ersten Toten, dem noch einige folgen werden. Am Ende, nach einigen Hoffnungsschimmern, „Zufallswundern“ und Liebes-Perlen schlittert (fast) alles ins „Desaster“.

Bruno Richard versucht mit seinem Debut-Roman auf dem höchsten Wellenkamm der Zeit zu reiten und alles aufzusaugen, was dort zwischen Utopia und Apokalypse in der Gischt zusammenschießt. Doch ihm gelingt es nicht, daraus eine überzeugende Geschichte zu machen – fast scheint es so, als wäre die Fiktion dem ungeheuren Tempo und der Komplexität unserer Realität schon längst nicht mehr gewachsen und hinke nur noch hoffnungslos hinterher.

Karsten Herrmann

Bruno Richard: Desaster. S. Fischer, 380 S., 19,90 Euro. ISBN 3-10-007120-4