Geschrieben am 1. Februar 2016 von für Bücher, Litmag

Briefe aus Québec : Top 3 der besten Romane 2015

nirlit2015 war ein großartiges Jahr für die québecer Literatur. Es ist nicht leicht nur drei Romane auszusuchen. In meinem Fall sind es zwei Erstlingswerke von Juliana Léveillé-Trudel und Daniel Grenier und der zweite Roman von Anaïs Barbeau-Lavalette. Von Bärbel Reinke.

„Nirliit“ von Juliana Léveillé-Trudel erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die wie die Wildgänse (Nirliit) im Winter Richtung Süden zieht. Sie verbringt ihre Sommer in Salluit, um sich dort um die Kinder zu kümmern, wenn die Schulen geschlossen sind. Die sie davon abhalten soll, zu trinken, zu rauchen, Klebstoff zu schnüffeln und was man sonst noch so tut, um der Hoffnungslosigkeit nicht ins Auge schauen zu müssen und sie gleichzeitig herbeiruft. Die erste Hälfte des Buches ist ein innerer Dialog mit ihrer Freundin Eva, die im Winter verschwunden ist (Von trauriger Aktualität), ihr Körper ist irgendwo im Fjord und ihr Geist überall. Im zweiten Teil des Romans wird das Leben Elijahs, Evas erwachsenem Sohn erzählt. Die Erzählperspektive ändert sich, das bleibt dennoch alles schlüssig. Weil das Leben weitergeht und Evas Leben zwangsläufig auch einen Einfluß auf das von Elijah hat. Ein großartiges Buch, das in keinster Weise das Leben der Menschen im Norden verniedlicht oder als reine Folklore beschreibt. „Nirliit“ ist ein hartes Buch, das mit viel Fein- und Mitgefühl geschrieben ist.

grenier_longue„L’année la plus longue“ (Das längste Jahr) von Daniel Grenier erzählt die Geschichte von Albert Langlois, Nachfahre von Aimé Bolduc und Vater von Thomas Langlois, die beide an einem 29. Februar geboren sind. Albert sucht seit Jahren überall in Nordamerika seinen Vorfahren, er ist überzeugt, daß Aimé, der 1760 in Québec geboren worden ist, immer noch lebt und als echter Twentyniner nur alle vier Jahre ein Jahr älter wird. In Chattanooga, Tennessee trifft Albert 1979 Laura, Thomas kommt am 29. Februar 1980 zu Welt. Es ist eine spannende und brillante Familiensaga, die zwischen 1760 und 2047 die Geschichte Aimés und seiner Nachfahren erzählt, aber auch die Geschichte der Québecer in ihren nordamerikanischen Zusammenhang stellt. Es ist ein vielversprechender und sehr gelungener erster Roman in der Tradition der großen amerikanischen Sagas und der großen québecer Romane, die oft einen Schuß des Wunderbaren, wenn nicht sogar des Fantastischen enthalten.

femmeAnaïs Barbeau-Lavalette hat ihre Großmutter Suzanne Meloche (1926-2009) nicht gekannt, aber sie hat ihr ganzes Leben mit den Wunden, die diese ihrer Tochter Manon, Anaïs Mutter zugefügt hat, gelebt. Mit dem Buch „La femme qui fuit“ (Die fliehende Frau) versucht sie das Leben ihrer Großmutter nach- und aufzuspüren. Suzanne Meloche verlässt 1947 mit 22 Jahren Ottawa und geht nach Montréal, wo sie sich den jungen Leuten um Paul-Émile Borduas (Maler und Professor) anschließt. Sie wäre fast die 17. Unterzeichnerin des Refus global (Globale Weigerung, des Manifests, das dem modernen Quebec den Weg geebnet hat) geworden. 1948 heiratet sie Marcel Barbeau (18.2.1925- 2.1.2016, Maler und Bildhauer), einen der Mitunterzeichner, sie bekommen zwei Kinder, Manon und François. 1951 verlässt sie Mann und Kinder. Für immer. Manon wächst bei zwei Schwestern ihres Vaters auf und François wird zwischen Kinderheimen und Pflegefamilien hin- und hergeschoben. Anaïs Barbeau-Lavalette erzählt das Leben ihrer Großmutter ohne Gefühlsduselei. Suzanne Meloche war ihrer Zeit voraus und hat ihre Selbstverwirklichung teuer bezahlt. Das Buch ist nicht die Abrechnung mit der Großmutter, das es durchaus hätte werden können, sondern eine Hommage an eine Frau, die unter anderem in den 60er Jahren gegen die Rassentrennung in den USA gekämpft hat. „La femme qui fuit“ erzählt auch die jüngere Geschichte Québecs und der Menschen, die die Modernisierung Québecs möglich gemacht haben.

„La femme qui fuit“ von Anaïs Barbeau-Lavalette und „L’année la plus longue“ von Daniel Grenier sind zwei der fünf Finalisten auf der kurzen Liste des Buchhändlerpreises* in der Kategorie Roman. Ich habe alle fünf Romane gelesen, sie sind alle sehr gut und ich drücke den fünf Finalisten die Daumen. Am 9. Mai 2016 werden wir erfahren, wer der glückliche Gewinner ist.

Bärbel Reinke

* Prix des libraires der Preis ist 1994 auf der Buchmesse von Québec geschaffen worden, die Verkaufszahlen spielen bei der Wahl er Gewinner keine Rolle. Die Jury besteht aus Buchhändlern. Seit 2011 gibt es auch einen Preis für Jugendliteratur und seit 2014 einen für Poesie.